Paussauer Neue Presse vom 23.04.2005


Wie Joseph Ratzinger zum „Königsmacher“ in den USA wurde


Energische Intervention des Kardinals führte im Wahljahr 2004 zu Stimmungswandel unter US-Katholiken - Bush hatte Vatikan um Hilfe gebeten



von Friedemann Diederichs
Washington. Es war der 4. Juni 2004, fünf Monate vor der US-Präsidentschaftswahl, als George W. Bush im Vatikan zum letzten Mal mit Papst Johannes Paul II. zusammentraf. Geduldig hörte sich der US-Präsident die erwartete Schelte des Heiligen Vaters wegen der Irak-Invasion an, die von der Kirchenführung in Rom stets scharf verurteilt worden war. Zum Abschluss des Treffens, so berichten Teilnehmer der Runde, brachte Bush dann noch einen persönlichen Wunsch vor. „Nicht alle amerikanischen Bischöfe sind auf meiner Seite,“ klagte er. Und fragte an, ob denn der Vatikan nicht den Druck auf die Kleriker in den USA erhöhen könne, damit diese in den kommenden Monaten während der heißen Wahlkampfphase ihren Widerstand gegen Homo-Ehen und Abtreibungen verstärken und so den Republikanern Rückenwind geben würden?
Schon sieben Tage später kam der engste Vertraute von Papst Johannes Paul II. dem Anliegen aus Washington nach. In einem Rundschreiben an die Führung aller US-Diözesen griff Kardinal Joseph Ratzinger zu harschen Worten: Katholiken, die Abtreibungen billigen würden, begingen „eine gravierende Sünde“ und müssten deshalb von der Kommunion ausgeschlossen werden. Ratzinger bezog sich im Verlauf seines Briefes explizit „auf den Fall eines katholischen Politikers, dessen Kampagne und bisheriges Abstimmverhalten Abtreibungen und Sterbehilfe ausdrücklich billige.“ Den Namen musste der Nachfolger von Johannes Paul II. gar nicht erwähnen, da jedem der Adressaten klar war, wer gemeint war: Bushs Gegenkandidat John Kerry, ein Demokrat und praktizierender Katholik. Wenn „ein solcher Politiker“ um die Kommunion bitte, so Ratzinger weiter, sollten Priester angewiesen sein, diese zu verweigern. Und: Jeder Katholik in den USA, der diesem Politiker seine Stimme gebe, mache sich „der formellen Kooperation mit dem Bösen“ schuldig und sei deshalb ebenfalls unwürdig, die Kommunion zu empfangen.
Das Schreiben Ratzingers, dessen voller Wortlaut bislang der Öffentlichkeit nicht bekannt war, zeigte Wirkung. Auszüge wurden in den letzten Wochen vor den Präsidentschaftswahlen bei Predigten von zahlreichen Kanzeln zitiert. Bei der Auswertung des Stimmverhaltens stellten Wahlforscher dann fest, dass Bush seinen Anteil bei Katholiken von 46 Prozent im Jahr 2000 um sechs Punkte auf 52 Prozent steigern konnte. Ohne diese Verschiebung hätte John Kerry über eine Mehrheit von gut einer Millionen Stimmen verfügt - Stimmen, die ihm am Ende fehlten, um die beiden wichtigen Bundesstaaten Ohio und New Mexico und damit die Präsidentschaft zu gewinnen.
Damit entpuppte sich Kardinal Joseph Ratzinger als „Königsmacher“ für einen Staatsmann, den der Vatikan zuletzt mit gemischten Gefühlen betrachtet hatte. An Möglichkeiten, sich zu revanchieren, mangelt es Bush nicht. In seiner letzten Amtszeit wird er vermutlich die Chance haben, durch die Berufung neuer Richter bis möglicherweise hoch zum Supreme Court in Washington die Frage der Legitimität von Abtreibungen neu zur Debatte zu stellen und in Sachen Homo-Ehe neue Bollwerke zu errichten. Und: Bush ist einer der energischsten Verbündeten des Vatikans, wenn es um die Abwehr jener geht, die eine strikte Trennung von Kirche und Staat in den USA fordern.