18.11.07 Egoistisch und unsolidarisch

(Anmerkungen zum Lokführerstreik und zur Politik der Gewerkschaften)

Die Lokführergewerkschaft streikt, um für ihre Berufsgruppe höhere Löhne durchzusetzen. Sie nutzt ihre Macht für ihre Zwecke und macht damit nichts anderes, als im letzten Jahr etwa die Krankenhausärzte, die auch nicht um gerechtere Verteilung der Einkünfte gestreikt haben, sondern um ein größeres Stück vom Kuchen, das die Allgemeinheit bezahlen muß. Ist das in Ordnung, wenn Standesvertretungen, die sich frech Gewerkschaften nennen, die Öffentlichkeit erpressen? Was ist mit all jenen Berufen, die nicht an Schlüsselpositionen sitzen und unter den steigenden Preisen genau so leiden? Was ist mit den Rentnern, den Arbeitslosen, den Sozialhilfeempfängern? Aus dieser Sicht betrachtet, ist derart egoistischer Streik nicht zu billigen. Aber ist nicht die ganze moderne Welt ungerecht? Die großen Konzerne belohnen ihre Manager mit Phantasiegehältern, wenn sie Arbeitsplätze wegrationalisieren, die Politiker erhöhen ihre Diäten selber, die Energiekonzerne erhöhen die Preise, trotz Milliardengewinnen, und die Landwirtschaft, lässt Getreide verheizen, verdieseln und verstromen, um Engpässe auf dem Lebensmittelmarkt zu erzeugen um ihren Ertrag zu erhöhen... Man kann hinsehen, wohin mal will, überall herrscht die alte Gier und das Ellbogenprinzip gilt überall, wo freier Markt herrscht, von den Spekulanten an der Börse gar nicht zu reden. Gerecht ist das sicher alles nicht, deswegen sind den Lokführern ihre Erpressungsversuche, unter denen die Bevölkerung leidet, vielleicht auch nicht vorzuwerfen. Warum sollen ausgerechnet sie vernünftig sein und solidarisch mit ihren nicht Lokführerkollegen und den übrigen Arbeitnehmern? Solange wir in einem System leben, in dem sich jeder selbst als der Nächste sieht, kann man ihnen wohl auch nichts vorwerfen. Nur müssen sie wissen, dass sie sich als Gewerkschaftler durch ihre Vorgehensweise zum Teil dieses ungerechten Systems machen und dem ursprünglichen Gewerkschaftsgedanken damit spotten. Aber haben die Gewerkschaften nicht schon lange ihre alten Ideale begraben? Haben sie schon irgendwann gestreikt, etwa um keine Vernichtungswaffen herzustellen, kit denen anderswo Kollegen totgeschossen werden? Haben sie schon einmal den Bau von Atomanlagen bestreikt, obwohl bis heute keiner weiß, was mit dem radioaktiven Müll passieren soll? Oder wann haben sie dafür gestreikt funktionale, energiesparende Autos zu bauen und keine Rennmaschinen für Angeber? Oder warum erstreiten sie nach wie vor prozentuale Lohnerhöhungen und treiben damit aktiv das Auseinandertriften der Einkünfte voran?

Wenn sich heute 60 Prozent des Vermögens in unserem Land in der Hand von zehn Prozent der Bevölkerung befinden, dann ist das auch das Ergebnis von 60 Jahren Gewerkschaftsarbeit und "christlicher" und sozialdemokratischer Politik.