10.11.05

Leserbrief zu dem interessanten Artikel im Bayerwaldboten Regen "Schon um 1900 trieben es die Wolfauslasser arg“

10.11.05

Den inneren Wolf auslassen?

Der Mensch ist ein Wesen das Krach macht und seinen Hund bellen lässt“, frotzelte schon Altmeister Tucholsky. Doch mit Lärm machen sich Menschen seit jeher Mut: sie pfeifen im finsteren Wald oder versuchen mit Kriegsgeschrei den Feind einzuschüchtern. Mit Lärm stecken sie ihre Reviere an- die Kirche mit ihren Turmglocken, der Staat mit seinen donnernden Tieffliegern, die Wirtschaft mit ihrem Gesäusel aus den allgegenwärtigen Lautsprechern und die armen Gewerkschaften mit ihren mickrigen Trillerpfeifen. Ja, und die frühen Bauern schickten ihr Gesinde mit Kuhglocken im Frühjahr und Herbst durch die Wälder, um dem wilden Viehzeug klarzumachen, wer hier der Chef ist...

Doch Hirten und Knechte haben dann nachts mit geschwärzten Gesichtern auch den Bauern die Meinung gescheppert und ihren Frust, ihren "Wolf“ herausgelassen, das überlieferte Hirtasprüchal unterstreicht diese Vermutung. Der Geistliche Stirner hat dies vor hundert Jahren auch als Ausdruck von Rebellion und Verstoß gegen das Glockenmonopol richtig erkannt und den Einsatz der Staatsmacht dagegen gefordert, denn im Ort darf nur einer "schäwan“...


Nachtrag

Die übliche Erklärung für den Hintergrund des "Wolfauslassns" ist, dass die Hirten sich durch den lauten Bettelzug durch die Häuser von den Bauern ihren Lohn holten. Dabei sollte man aber bedenken, dass Bauern den Lohn wohl kaum an eine unbekannte Gruppe von fremden Burschen ausgezahlt hätten, denn in einem Dorf gab es ja nur einen Dorfhirten und die Wolfauslassertruppe bestand ja aus einer mehr oder weniger großen Gruppe. Vermutlich ging es nur um Zubrot zum eigentlichen Lohn, der ja vor allem aus Kost und Quartier bestand. Einen Zuschlag darauf konnte man sich mit einer eindrucksvollen Gruppe, die die Stuben erzittern ließ, aber sehr wohl ertrotzen.

Andererseits- mußte der Brauch nicht von den Bauern ausgehen, da denen gehörten ja die wertvollen Kuhglocken gehörten und die Bauern (von denen viele genauso ärmlich lebten wie ihr Gesinde), würden die Glocken wohl kaum zum eigenen finanziellen Nachteil zur Verfügung gestellt haben.

Einen Aspekt sollte man aber auch nicht übersehen: die Schepperei mußte von den Hirten ausgegangen sein, denn es wäre schon eine arge Erniedrigung, wenn die Bauern von ihren Hirten verlangten sich durch die umgehängten Glocken praktisch als Kühe und Ziegen zu verkleiden und ihnen erst dann, wenn sie sich durch das Schauspiel zum Narren machen, ein Entgelt zu bezahlen. Etwas anders ist es, wenn das Ganze von den Hirten ausgeht. Man sieht also, dass der Brauch von vielen Seiten betrachtet werden kann.

Ich glaube zwar nicht an die Version mit der Erniedrigung, doch ganz ausschließen kann man sie nicht. In Tirol habe ich von einem Brauch gehört, wo sich arme Leute an Weihnachten verkleideten und zum Betteln durch die Häuser zogen und die Bauern von ihnen allen möglichen Hanswustereien verlangten und sich - für die Gabe eines Almosen - auf Kosten der Armen amüsierten.