Von meinem Großvater Josef Geiss

Textauszug aus : Geiss Haejm "Kindheit und Jugend"

(...)

Der geliebte Großvater starb, als ich fünf Jahre alt war, mit siebenundfünfzig Jahren. Doch was waren das für Jahre gewesen! Soldat zweier Weltkriege und davor, dazwischen und danach große wirtschaftliche Not und Arbeit, die für mehrere Menschenleben ausgereicht hätte. Und wenn das einem Mann passiert, der feinfühlend ist und ein überaus ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und viel Stolz und Ehrgeiz besitzt, wie man dem Großvater bescheinigt, dann ist das halt doppelt schlimm. Er stammte von einem größeren Waldbauernhof, war zudem der zweitgeborene Sohn und der Vater dachte nicht ans Übergeben. Und so ging es dem Großvater wie unzähligen nachgeborenen Bauersöhnen: um eine Familie ernähren zu können, mußte er den Hof verlassen. Doch er konnte nur die bäuerlichen Arbeiten, und die waren auf dem Arbeitsmarkt nicht gefragt. Er fand Arbeit Pferdeknecht und Fuhrwerker, doch wurde dieses Gewerbe durch die aufkommenden Motorfahrzeuge hart bedrängt. Bald mußte er sich als Gelegenheitsarbeiter und Hilfsmaurer verdingen, doch oft fand er nur schlechtbezahlte Saisonarbeit, und so brachte er seiner Familie oft nur Stempelgeld nach Hause. Während der Weltwirtschaftskrise trug er mit anderen Arbeitslosen, das Material für den Bau des Arberschutzhauses auf dem Rücken auf den Berg. Als ich, erwachsen, die Strecke einmal ohne Last wanderte, war ich danach rechtschaffen müde. Mein Großvater war diese Strecke mehrmals am Tag gegangen, mit schwerer Last auf dem Rücken. Alleine die einstündige Anfahrt mit dem Fahrrad über die steile Paßstraße war eine Mühsal.

Daneben kostete der Bau eines eigenen Siedlungshauses alle Kraft. Trotz großer Eigenleistung drückten die Hypothek schwer auf dem so unregelmäßig Verdienenden. Doch war das Haus das Lebensziel des Großvaters: wenigstens ein eigenes Dach über dem Kopf wollte er haben und eine kleine Wiese davor, für eine winzige Landwirtschaft mit zwei Ziegen, einem Schaf, einem Schwein, ein paar Gänsen und Hühnern und - als einziger Luxus - ein paar Haustauben auf dem Dach, nur zum Anschauen und Freuen.

Um seine Tiere satt zu bekommen, mähte der Großvater fremde Gärten, Wegränder und Brennesselhalden und nützte alles, was sich als Futterquelle bot. Auf einem gepachteten Feldstück bauten die Großeltern Kartoffeln und Kraut, und in den Wäldern sammelten sie Brennholz und zogen es über viele Kilometer mit dem Leiterwagen nach Hause. Beim Essen schlief der Großvater dann manchmal vor Erschöpfung ein. Weil sein Los noch nicht hart genug war, zog man ihn für das elende Geschäft zweier Weltkriege heran, beim ersten fast noch als Kind, beim Zweiten als Mann von über vierzig Jahren. Man muß sich das vorstellen: zweimal im Leben die Erniedrigung als Soldat, die Not und die Sorge um das eigene Leben und das der Familie!

Nach Kriegsende wartete dann zu Hause der Dank des Vaterlandes: Elend und Arbeitslosigkeit. Doch trotz seiner Not trat der Großvater in den dreißiger Jahren nicht in die Nazipartei ein, obwohl er sich mit diesem Schritt auch Arbeit verschafft hätte. Nachbarn, denen diese Skrupel fehlten, versuchten hartnäckig ihn zu überreden, es ihnen gleich zu tun, doch der Großvater widerstand der Versuchung.

Ich bewundere ihn dafür, wie er sein hartes Leben gemeistert hat und begreife, warum ihn mit 57 Jahren die Kraft verließ.

In seinen letzten Lebensjahren war ich, der ersehnte Enkel, seine größte Freude. Gerne ließ ich mich im Leiterwagen ziehen, wenn er zum Mähen von Grünfutter loszog oder ich ging mit ihm in den Stall, wenn er die Tiere fütterte.

Mein Großvater verstand sich auf die traditionellen bäuerlichen Holztechniken. Auf einer Heinzelbank schnitzte er Gebrauchsgegenstände aller Art: Werkzeugschäfte, Rechen, Holzschuhe, aber auch einfache hölzerne Vögel und Rindenpfeifen als Spielzeug für mich. Ich beobachtete ihn gerne, wenn er mit dem Ziehmesser schnitze, mit einem Glasscherben einen Stiel glatt schabte oder Besen aus Birkenreisig fertigte.

Ich begleitete ihn zum Holzholen in den Wald oder in die Holzdrahthobelei, von wo er sich lange Späne zum Feueranzünden besorgte, manchmal durfte ich auch mit zum Stempeln aufs Arbeitsamt. Mit fünf Jahren schnitt mir der Großvater eine gutgewachsene Salweide ab, schmückte sie mit bunten Bändern und Zweigen vom Segenbaum und ging mit mir zum Palmumzug, danach zum Fotografen und anschließend ins Wirtshaus, wo er mir Wiener Würstchen und eine Limonade kaufte und mich stolz den anwesenden Männern und den Wirtsleuten vorstellte.

Niemals kam der Großvater aus der Stadt nach Hause, ohne mir irgendeinen Leckerbissen mitzubringen, meist eine Semmel oder eine Brezel. Gerne saßen wir beide auch zusammen auf dem Kanapee, verspeisten einen gespeitelten Apfel und ich erzählte ihm, was mich beschäftigte und manchmal saßen wir auch nur ganz still da und lauschten dem Knacken des Feuers. Besonders schön war das Sitzen beim Großvater in der Dämmerung, wenn der Feuerschein des Herdes über die Zimmerdecke flackerte. Wenn ich mich dieser Stunden erinnere, spüre ich immer noch ein wohliges Gefühl in meiner Brust. Ich hatte diesen gütigen hageren Mann mit dem Chaplinbärtchen unsagbar gern.