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Vier Generationen leben zusammen beim "Geiß" in Mitterbichl

Drei Jahrhunderte auf einer Waldbauernburg

Zeitungsartikel von "Baumsteftenlenz" alias Paul Friedl, Erscheinungsdatum unbekannt, vermutlich 1959.


Neun Höfe und einige Häusler, zwei der Höfe wie verteidigungsbereite Bauernburgen, an einen sonnigen Hang hingebaut, mit dem wehrhaften Gesicht gegen die Hügelketten und Vorberge des Bayerischen Waldes, das ist Mitterbichl. Hoch vom Berg drüben ragt über den Wald der Turm der Pfarrkirche von Kirchberg und hinter der Sonnleiten von Mitterbichl bilden die fernblauen Grenzberge eine eindrucksvolle Kulisse. Das ist echtes Waldbauernland; es hat seine eigenen Leute, die durch Jahrhunderte Angestammten, deren Ahnen die vielen Steine aus dem Acker rissen und dem Wald Feldstücke und Weidegrund abrauften. Das ist ein Bergvolk, wie es stämmig und breitschultrig, mit wetterharten, markanten Gesichtern, voller Arbeitswillen, Bauernstolz und hintergründigem Humor, zu den buckligen Waldbergen und dem rauhen Schaffen gehört. Gerade richtig!

Mitten in Mitterbichl ist die breite Hofburg der "Geiß". Beim "Martin" sagt man heute noch - und verewigt in diesem Hausnamen eine Geschichte, die nun schon 150 Jahre alt ist. Damals holte sich der Kaiser Napoleon den Martin Geiß von Mitterbichl für seine Feldzüge als guten und zähen Soldaten, während dessen Bruder Christof daheim den Hof versorgte. Beim Stadelbau verunglückte der Christof Geiß. Napoleon entließ daraufhin den Martin aus dem Rußlandfeldzug, um ihn auf dem angestammten Waldbauernhof wirtschaften zu lassen. So erzählen es alte Papiere, aber die Überlieferungen in diesem Stamm alten Bauernadels weist noch viel weiter zurück. Bevor der Volksmund den Hausnamen "zum Martin" änderte, hieß es 150 Jahre lang beim "Seppenbauern". Und auch das ist in der Sippe der Geiß von Mitterbichl noch getreulich überliefert, wieso man damals vor so langer Zeit so hieß. Die Geschichte des alten Hofes beginnt um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Damals war es der Mooshof, ein Zehenthof, dessen Gründe zwischen Wald und Steinhang lagen und in den moosigen Talgrund hinabreichten. Zwischen zwei Brüdern, dem Sepp und dem Girgl, mußte das Los entscheiden, wer von ihnen als Wirtschafter aufziehen sollte; beim Strohhalmziehen hatte der Sepp das Glück und den Hof gezogen. Dieses Begebnis wandelte den Mooshof in den Seppenbauernhof um, und er blieb es, bis wiederum ein, in der Dorfgeschichte besonders vermerktes Ereignis zum Anlaß wurde, daß es seit dem Rußlandfeldzug "beim Martin" hieß.

Immer aber war es der Familienstamm, der dies dreihundert Jahre auf dem Hof durchgestanden hat: Heute leben die Vertreter von vier Generationen der "Geiß" als angesehene Waldbauern: der 88- jährige Peter, längst im Austrag, sein Sohn, ebenfalls ein Peter und auch schon in der Ausnahm, aber noch rührig bei der Arbeit, sein Sohn Hans, derzeit Bauer auf dem Hof, und dessen strammes und bildsauberes Bübl, der vierjährige Hanserl.

So viele Generationen an dem einstigen Zehenthof gebaut haben, alle hielten sie an der ursprünglichen Hofanlage fest. Wenn auch die alten Holzhäuser inzwischen Steinbauten weichen mußten, das Bild des Hofes veränderte sich nicht. In den Stuben und Ställen spürt man die gute Tradition, ist noch der Geist der Jahrhunderte, und die Hofmauer mit Tor und Tirl, die das geschlossene Viereck der Gebäude nach vorne abschließt, ist fest und wehrhaft wie bei einer alten Burg.

Der alte "Martinpeter" ist mit seinen 88 Jahren der würdige Hofahn, der echte, kernige, unverwüstliche Waldbauer, körperlich und geistig staunenswert rüstig, mit dem köstlichen und spitzbübischen Humor des hohen Alters und einem Leben hinter sich, das genügend Stoff für ein Dutzend echter Bauernromane liefern könnte. Neun Buben und fünf Dirndl brachte ihm die erste Ehe an den großen Bauerntisch. Als er nach dem Tode seiner guten Lebensgefährtin noch einmal heiratete, stieg die Zahl seiner Nachkommen bis achtzehn. Die Buben schlugen sich tapfer, wie ihr Vorfahre Martin im Feld, aber drei kamen nicht mehr zurück. Von seinem langen Leben denkt er in seinen alten Tagen mehr an die heiteren Seiten und Erlebnisse; nach den anderen Gesichten auf dem Hof gefragt, meint er: "Ja mei, arbeiten muaß ma halt."

Daß er sich bei dieser Arbeit einmal die Schulter, ein andermal das Schlüsselbein, dann wieder den Arm und einmal sogar die Füsse gebrochen hat, das erfährt man später nur so nebenbei, oder man erführe es nicht, wenn nicht auch andere davon wüßten. Wie zum Beispiel der Pfeffer, selber von einem alten Hof von der Hangenleithen stammend. "Frühers sands hoid rechte Büffe gwen," sagt er, aber er meint es durchaus anerkennend. Wehleidigkeit nützte nichts, der Weg zum Arzt war gute zwei Stunden lang.

Der alte "Martinpeter" hat jedenfalls mit 86 Jahren auf dem Buckel den Weg nach Zwiesel und zurück, runde 50 Kilometer, noch gemacht und heute ist er mit seinem, schon einmal gebrochenen Gehwerk ganz zufrieden. Mit Vergnügen erinnert er sich daran, daß er als Alter auch schon einen kleinen Verkehrsunfall gebaut hat, weil er nämlich mit seinem Fahrradl an das Auto des Tierarztes aus Regen "hingekommen" ist. Als dieser den Namen seines Unfallkonrahenten wissen wollte, stellte sich der Alte als "Peter Schmecks" vor, der natürlich unter diesem Namen nicht wieder aufzufinden war. Allerdings führte bald einmal der Weg den Tierarzt und den "Martinpeter" wieder zusammen. Den Unfall vergessend, stellte der Tierarzt den Bauern seiner Frau vor. Worauf dieser prompt und unverblümt meinte: "Dös is dei Frau? Die hätt i mir anderst vorgestellt, da is ja mei Lene no schöner." Wer ihn aber kennt, den alten Peter Geiß, kann ihm nicht feind sein, denn in seinem faltigen Gesicht steht tief eingezeichnet das harte Bauernleben, viel Sorg und Freud des langen Lebens, aber auch das gute Herz und der köstliche Humor. Wenn man ihm zuhört, dann ist es, als redete er für Generationen, die einer harten aber geruhsamen Zeit angehörten und die es noch verstanden, auch die kleinen Freuden des Lebens auszuschöpfen. Hätten sie das nicht gekonnt und sich daran immer wieder aufgerichtet, dann gäbs wohl nicht mehr die stolze Tradition des Waldbauerngeschlechtes.

Der alte Peter Geiß kann auch mit den folgenden drei Generationen, deren Vertreter heute vor ihm stehen, zufrieden sein. Sie sind vom besten Kern und bürgen dafür, daß die "Geiß von Mitterbichl" noch lange auf ihrem Hof sitzen werden.

An dem Tag, an dem wir in Mitterbichl waren, schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Nachmittagssonne spielte um die stillen Gehöfte und von den Hängen herauf kam wunderbarer Heuduft. Am Ausnahmshaus des alten Martinpeter hängt die Ortstafel; sie kündet noch den längst außer Gebrauch gesetzen Namen "Mitterbüchl" Bezirksamt Regen, Wehrbezirkskommando Deggendorf. Über der Haustür steht in einer verglasten Nische eine uralte hölzerne Muttergottes und vom frommen Bauernsinn zeugt auch das Holzkreuz, um das sich die Gehöfte scharren. Es ist ein gesegnetes Bauernland um die sonnigen Höfe von Mitterbichl!