15.1.95 Wählerische Tiere

zu Euerem Bericht über die Winterfütterung muß ich nun doch von eigenen Erfahrungen und Beobachtungen in einem Leserbrief berichten: (nicht abgeschickt)

Sie berichteten, daß das Wild das angebotene Heu wenig beachtet. Man kann wohl daraus folgern, daß die Tiere keinen Hunger haben, weil sie andere Nahrung vorziehen. Auch ich habe lange geglaubt, das Wild hungere im Winter, weil seine Nahrung unerreichbar unter der Schneedecke liegt. Bis mir Beobachtungen an Ziegen und Schafen zeigten, daß diese - wenn sie wählen können - Blätter, Zweige und Rinde allem anderen Futter vorziehen, von Getreide, Brot u.ä. einmal abgesehen. Heu wird nur gefressen, wenn es nichts besseres - also Stauden und Bäume - gibt! Und Letztere finden die Tiere ja zur Genüge im Wald. Ziegen und Schafe fressen leidenschaftlich gerne "Grossad" von Nadelbäumen, nagen ausgewachsene Kiefern bis aufs Holz ab, entrinden armdicke oberirdische Wurzeln und sie lieben Zweige, Rinden und Knospen vieler Laubgehölze. Man darf wohl annehmen, daß Rotwild einen ähnlichen Speiseplan hat.

Es ist also ein Märchen, daß die Wildtiere im winterlichen Wald ohne die fütternden Jäger verhungern müßten oder daß man mit Heufütterung den Wildverbiß nennenswert eindämmen kann. (Wobei es den großen Nadelbäumen wohl kaum schadet, wenn Rotwild an den unteren Ästen nagt, anderes gilt natürlich für junge Laubbäume).

Warum Heu weitgehend verschmäht wird, hat aber noch einen anderen Grund. Ich habe selber beobachtet, wie Allgäuer Rinder, die den Sommer über das ungedüngte Gras der Almen genießen konnten, im Tal das Gras der fetten, mit Gülle und Mineraldünger durchtränkten Weiden zu Fressen verweigerten. Der herbeigerufene Tierarzt war ratlos und erst als die Tiere auf dem Weg in den Stall mit Heißhunger über eine nichtgedüngte Wiese eines Biobauern herfielen, wurden die Zusammenhänge klar.

Nun werden Wildtiere kaum über weniger Geschmack verfügen als Rinder.