1991 Die modernen Raubnomaden

Der Mensch war, wie die meisten anderen Lebewesen, über Jahrmillionen Nomade, er zog seiner Nahrung nach. Er nahm was er brauchte, schied aus, was er nicht mehr benötigte und zog weiter, wenn die Nahrung aufgegessen war oder anderswo bessere lockte, niemals lebte der Mensch mehr im Einklang mit der Natur. Auch heute gibt es in den Weiten Asiens, Afrikas und Amerikas noch Nomadenvölker die so leben. Ich habe vor ihnen die größte Hochachtung und glaube, daß wir sogenannten Seßhaften viel von ihnen lernen können. Ja, ich glaube, daß dies solange die vernünftigste Art zu leben ist, wie die Landfläche mit der Zahl der Menschen harmoniert, was aber heute beinah nirgendwo mehr der Fall ist.

Die Geschichte lehrt, daß nach der Nomadenzeit die Ackerbaukulturen kamen, die Arbeitsteilung, die Städte und alles was man Zivilisation nennt und, mit zunehmendem Abstand zur Natur, die Anmaßung des Menschen, alles außer ihm ausnutzen und ausplündern zu dürfen. Neben den existentiellen Bedürfnissen erfanden die Menschen tausend künstliche, die zu befriedigen ihnen jedes Mittel recht erscheint.

Die alten herumziehenden Naturvölker hatten es nicht nötig, für ein Stück Land Verantwortungsgefühl zu entwickeln, einmal war genug davon da, zum anderen fehlten ihnen die Werkzeuge (und auch der Antrieb) die Erde anders zu behandeln als es vernünftig war. In der ganzen menschlichen Entwicklungsgeschichte war es daher nicht nötig, dieses Verantwortungsgefühl zu entwickeln und folgerichtig fehlt es auch den modernen Menschen, dies ist unser nomadisches Erbe.

Heute, wo die Menschen wegen ihrer großen Zahl, der Bequemlichkeit und des besseren Wirtschaften wegens, seßhaft geworden sind (oder es zu sein scheinen) hat sich zwar unser Konsum und unser Abfall vervielfacht, nicht aber die Fähigkeit für etwas außer uns, unserer Familie oder unseres Besitzes, Sorge zu tragen. Das Land (erst recht wenn es uns nicht gehört), das Wasser, die Luft sind uns nur tote Dinge, die wir für unsere Zwecke gebrauchen. So haben wir es zwar verstanden, beispielsweise den Ertrag des Landes durch verschiedene Kunstkniffe zu erhöhen, doch wer begreift den Mutterboden schon wirklich als unser aller Mutter? Nur die Nachdenklichsten von uns haben begriffen, daß wir ein Teil der Erde, des Wassers, der Luft sind, untrennbar damit verbunden; daß alles, was wir unseren Lebensgrundlagen antun letztlich in uns und unseren Kindern landet. Die Menschen nennen sich heute zwar seßhaft (worauf sie sich viel zugute halten) übersehen aber, daß selbst der seßhafteste Moderne im Grunde eine neue Art von Nomade ist, ein hirnloser Raub-Nomade, der grenzenlos einheimst. Er kauft sich die Waren die er braucht (oder zu brauchen glaubt) von überall, er grast praktisch Weiden ab, von denen er manchmal nicht einmal weiß, daß es sie gibt und er verteilt seine giftigen Ausscheidungen über den ganzen Planeten. Durch diese gigantische und beziehungslose Raub-Nomaderei ist es schier unmöglich geworden, für die Folgen des Handelns Verantwortung zu tragen, ja nur ansatzweise für die Feinfühlendsten möglich, die Folgen in etwa zu erahnen. Dieses Raubnomadentum der modernen Seßhaften muß als das Grundübel unserer Zeit begriffen werden.

Es scheint ein menschlicher Grundzug zu sein, nur das zu schätzen und pfleglich zu behandeln, was einem gehört. Deshalb ist der ganze Welthandel, wo Waren irrwitzig hin und hergeschoben werden, die Arbeitsteilung immer weiter getrieben wird, ein tragischer Irrweg. Das Gegenteil davon: regionales Wirtschaften, Zurückfahren der Arbeitsteilung auf ein vernünftiges Maß, und individuelle Verantwortung für ein Stück Land - scheinen mir alleine in der Lage, die Einsicht und das Verantwortungsgefühl der Menschen entwickeln zu können.- Doch die Menschen sind faul, taub, träge im Denken, kurzsichtig und alleine an ihrem kurzfristigen Vorteil interessiert. Und hat eine Generation wirklich einmal durch Schaden etwas begriffen, so wird die nächste es bestimmt nicht übernehmen. So schaukelt sich die Menschheit immer nur millimeterweise von der Barbarei weg; trotz der menschlichen Bildsamkeit, des Einsichtsvermögens und seiner grundsätzlichen Gutmütigkeit.

Die Aussichten sind trist, alle bedeutenden Entwicklungen gehen in eine üble Richtung, an deren Ende der Zusammenbruch des Ökosystems stehen muß.