Wie eine moderne demokratische und erfolgreiche Schule aussehen könnte

Meiner Ansicht nach gehörte vordringlich (nicht nur) an den bayerischen Schulen folgendes geändert:

1.

Spätere Selektion. Zehn, mindestens acht Jahre sollten alle Schüler gemeinsam einen Schultyp besuchen, wobei aber schon früher erkennbare Interessen und Talente in Schwerpunktgruppen gefördert werden.

2.

Durchfallen nicht mehr wegen Schwächen in einem Fach. (Es ist entsetzlich, wie heute deswegen jungen Menschen alle Chancen auf Studium und Karriere zerstört werden. Nur weil einer in Fremdsprachen schlecht ist, kann er beispielsweise dennoch ein ausgezeichneter Pädagoge, Natur- oder Geisteswissenschaftler u.ä. werden).

Manchmal scheitern Schüler auch an bestimmten Lehrern. Niemals darf ein Lehrer alleine über Durchfallen entscheiden.

3.

Große schöpferische Leistungen wurden selten von angepassten Musterschülern vollbracht. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, dass man mit Zensurendruck und Stoffpauken eine "Elite" heranziehen kann, die ein Land braucht. Oft waren es Aussenseiter und einseitige Begabungen, die die Entwicklung der Menschheit voranbrachten. Ja, manchmal erwuchs gerade aus einem Handycap eine überragende Kompensation in anderen Bereichen. Auch aus diesem Grund ist frühzeitige Auslese verhängnisvoll.

5.

Eine humane und erfolgreiche Schule braucht eine gleichberechtigte Förderung von geistigen, künstlerischen, manuellen und sozialen Kompetenzen. Der heutige Fächerkanon ist geradezu ein Unding. Die Unterrichtsinhalte müssen sich aus dem wirklichen Leben der Schüler entwickeln, in denen lebenspraktische Fähigkeiten mit ethischen und kognitiven gleichberechtigt vermittelt werden. Improvisationsfähigkeit, Problemlöseverhalten und Teamfähigkeit sollen Priorität haben vor allem Detailwissen und Stoffpauken. Kopf und Hand sind gleichberechtigt zu fördern.

 

Über Erziehung und Lernen

(aus: „Vom Leben der Echraner, H.J. Geiss 1987)

So wie Pflanzen zum Gedeihen Licht, Wasser, Nähr­stoffe und Wärme benötigen, so brauchen Menschenkin­der - sollen sie einmal liebevolle und verständige Er­wachsene werden – ebensolche Vorbilder. Edle Grund­sätze und schöne Reden sind wertlos, wenn sie nicht auch vorgelebt werden. Erziehen kann man also nur dadurch, in dem man sich selber erzieht. Doch sollte jedem Erzieher bewußt sein, dass er nur ein Baustein in der Entwicklung eines Kindes sein kann, nicht mehr, aber auch nicht weniger.  

Das echranische Bildungssystem unterscheidet sich von dem eueren in wesentlichen Punkten. Schulen, wie ihr sie kennt, gibt es bei uns nicht. Es gibt weder Zensuren noch bezahlte Lehrer. In der Folge auch kein Strebertum und keine vordergründige Anpas­sung, kein erzwungenes Büffeln für Prüfungen, kein Pauken von Phrasen, Formeln und Jahreszahlen, die jeder sowieso gleich wieder vergisst und die leicht in Büchern nachzuschlagen sind.  

Menschen müssen nicht zum Lernen gedrängt werden, denn die Neugierde gehört zu unserem Wesen wie die Vorsicht zum Hasen. Kinder trachten ganz von alleine danach, sich das anzueignen, was den Erwachsenen Vorteile verschafft und was sie zu einem menschen­würdigen Leben benötigen. Schulen spiegeln immer auch die Lebenswirklichkeit einer Kultur, dementspre­chend anders als bei euch sind sie in Echra. Nicht der angepasste Spezialist mit seinem engen Horizont ist bei uns gefragt, sondern der selbständig denkende und soziale Mensch, der sich in allen Lebensbereichen auskennt und zu­rechtfindet.

Wir kennen keine umrissenen Schulzeiten, denn wir lernen unser Leben lang. Lernen ist uns nicht weniger Grundbedürf­nis wie Essen und Trinken.  

In eueren Schulen dagegen treibt man den Kindern diese natürliche Lust am Lernen aus, in dem man ihnen Scheuklappen aufsetzt und sie einen zielgerichteten Hürdenlauf absolvieren lässt, bei dem sie alles ignorieren müssen, was links und rechts der Strecke liegt. Zudem werden in der Hauptsache solche Erkenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die Menschen nicht ohne weiteres von sich aus lernen würden, also fremdbestimmten Stoff, den beispielsweise die Wirt­schaft für ihre maßlose Produktion braucht, Stoff, mit dem sich der Staat legitimiert usw. Nicht der gebilde­te, zur Improvisation fähige und in der Lebenskunst bewanderte Mensch ist das Ziel, sondern der angepasste Streber, der an Still­sitzen und Vergessen seiner eigenen Wünsche und Antriebe gewöhnt wurde und der alles weiß, nur nicht, was für ein autonomes Leben nötig ist. In eueren Schulen werden die Kinder für die arbeitsteilige und egoistische Gesellschaft abgerichtet und ihre Köpfe mit unzusammen­hängenden Fakten gefüllt, bei denen ein Bezug zum wirklichen Leben die Ausnahme ist. So denken die Menschen schließlich in Schablonen, messen in frem­den Maßstäben und taugen - so verkrüppelt wie sie nun sind - für den verrückten Berufsalltag, in dem sie nichts hinterfragen und nur wie die sie umgebenden Maschinen funktionieren sollen.

Euere Schulen sind also Dressuranstalten, die es alleine deswegen gibt, weil euer Wirtschaftssystem einen bestimmten Ausbildungsstand für seine Produktion benötigt, einschließlich der Bereitschaft dazu und jener sich unterzuordnen. Mit dem fremdbestimmten Lernstoff werden ja auch Geisteshaltungen, fremde Wertmaßstäbe, engstirniges formales Denken und überwiegend schlechte Verhaltensmodelle von lustlo­sen Lehrern verfrachtet, auf die wir in Echra keinen Wert legen. Uns erscheint daher die Schulpflicht und die dahinterstehende Geisteshaltung als Willkür und Gängelung, ja, als dreister Diebstahl, bei dem nicht irgendwelche ersetzbaren Dinge weggenommen werden, sondern die eigenen Kinder.

Wir verstehen auch nicht, wie ihr auf die große Freude verzichten könnt, eueren Kindern Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben usw. selber beizubringen.

Ich weiß, dass euere Schulpflicht in Zeiten großer Unwis­senheit und harter Ausbeutung einmal ein bedeutsa­mer Fortschritt gewesen ist. Doch auch noch nach hundert Jahren scheinen die Menschen nicht willens und gebildet genug, als dass man ihnen die Entwick­lung ihrer Kinder anvertrauen könnte, nur die Pflichtschule hebt auch die benachteiligten unter ih­nen auf ein Mindestniveau. Doch uns Echranern ist auch dieser Begriff Niveau suspekt, denn wir wollen die Menschen nicht nivellieren und nicht messen.  

Jeder Echraner ist im Alltag zugleich Lehrer und Schüler. Auch die Kinder machen dabei keine Aus­nahme, die Jüngeren lernen von den Älteren. Wer et­was lernen will, wendet sich an seine Eltern, Geschwi­ster, Verwandten, Freunde oder Nachbarn, oder auch an seine Kinder, wenn die etwas können, was einem fehlt. Es gibt wohl nur wenige Echraner, die nicht ge­rade einem anderen etwas beibringen oder sich etwas beibringen lassen. Die Vielfalt unserer Bildungsangebote ist entsprechend. Angeboten wird, was nachgefragt wird.

Vermutlich ist der Schlüssel zu diesem allgemeinen Lernhunger im eigenen Antrieb zu suchen, denn wer etwas lernen will, weil es ihn danach drängt, lernt mit unvergleichlich größerer Intensität, als dies in Schulen üblich ist, wo Lernstoff angeboten wird, zu dem in al­ler Regel der Bezug fehlt und der nur des schulischen Fortkommens wegen, oft mit großem Widerwillen ge­lernt wird.

Unsere Lernangebote sind auch weniger kopflastig wie bei euch. Handwerkliche Fertigkeiten sind uns grad so wichtig wie theoretische. Viele Arbeiten lernen wir einfach dadurch, weil wir mit ihnen aufwachsen: wie Nahrung angebaut und zubereitet wird oder wie Gebrauchsgegenstände gefertigt werden. Wir lernen Holz zu bearbeiten und daraus Möbel, Werkzeuge, Hütten und Häuser zu bauen. Wir lernen Körbe zu flechten, Gefäße aus Lehm zu formen und zu brennen, Wolle zu spinnen und daraus Kleidung herzustellen. Wir lernen zu nähen, zu stricken, zu weben, zu knüp­fen und was es sonst noch an nützlichem Handwerk so gibt.  

Nicht zu kurz kommen auch künstlerische Fähigkeiten wie Musizieren, Singen, Theaterspielen, Modellieren, Malen, oder auch nur die Fähigkeit, mit offenen Au­gen die Welt zu betrachten und zuzuhören.  

Und trotz der Vielfalt unserer Tätigkeiten finden wir durchaus auch noch Zeit zum Faulenzen. Vielleicht, weil wir uns von der Neuerungs- und Verbesserungs­sucht befreit haben und wir das, was sich bewährt hat, lassen wie es ist. Darum ist auch derjenige, der es ver­steht nur soviel zu tun, wie nötig, in Echra gut angese­hen. Wer dagegen ständig durch die Gegend hetzt und meint, noch dieses oder jenes unbedingt zu seinem Glück zu brauchen, der wird bemitleidet, denn er gilt uns von einer schlimmen Krankheit befallen.  

Doch wieder zum Lernen.

Wesentlich erscheint mir dabei, dass in Echra Theorie und Praxis nicht getrennt sind. Alles steht miteinander in Beziehung, hat Ursachen und Folgen, nichts wird isoliert vermittelt. Problemlöseverhalten, Improvisie­ren, Partnerschaftlichkeit und die Fähigkeit zur Ko­operation erwachsen unserem Alltag grad so selbstver­ständlich, wie die Achtung gegenüber Mitmenschen, Tieren und Pflanzen.  

Jedes unserer Dörfer besitzt ein Gemeinschaftshaus, das auch kulturelles Zentrum ist. In ihm ist eine Bibliothek untergebracht und es finden Ver­anstaltungen statt wie Konzerte, Theateraufführungen, Filme, Tanz, Vorträge und Gesprächs­runden. Die Wände der Räume werden - etwa im mo­natlichen Wechsel - mit bildnerischen Arbeiten ein­heimischer oder fremder Künstler geschmückt. Die kulturellen Kontakte zwischen den Dörfern sind über­aus rege. Es ist deswegen keine Anmaßung, wenn ich uns Echraner als gebildetes Volk bezeichne, dem die schönen Künste ebenso am Herzen liegen, wie die gro­ße Kunst der Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und des Nahrungsanbaues und - vor allem: die Kunst glücklich zu leben!  

Der Mensch besteht eben aus Kopf und Händen. Wo nur das eine gefördert wird, verkümmert das andere. Hier ist Gleichgewicht nötig, sonst entstehen Men­schen mit Schlagseite.

 

 

Über unsere Kinder

(aus: „Vom Leben der Echraner, H.J. Geiss 1987)

Allen Geschöpfen ist die Erhaltung der Art Zweck und Ziel des Daseins, auch für uns Menschen gilt das entsprechend. Kinder sind daher unser wertvollstes Gut und ihre Betreuung und Förderung unsere vor­nehmste Aufgabe. Welchen Sinn hätte ohne sie un­ser Streben? Unsere Zeit Kindern zu widmen, sie zu beschützen und zu leiten, gilt uns in Echra deshalb als das Erfüllendste allen menschlichen Tuns.  

Wenn wir hören, dass sich die Eltern in eurer Zivilisa­tion wenig um die Kinder kümmern und oft schon ih­re Babys in Kinderkrippen zur Aufbewahrung geben, weil sie finanzielle Not zur Berufstätigkeit zwingt oder weil ihnen das Erwerben von Luxusgütern wichtiger ist, dann können wir das nicht begreifen. Ebenso wenig, dass sogar wohlhabende und gebildete Eltern ihre Arbeitskraft ohne Not gegen Entgelt ver­kaufen, weil sie ihr Elternsein als unbefriedigend empfinden. Sie sprechen dabei oft vom Recht auf eine berufliche Karriere und von ihrem Recht auf Selbst­entfaltung, doch wo bleibt das Recht ihrer Kinder? Das Wertvollste was sie haben, geben sie in fremde Hände und selber verbringen sie ihre Zeit teilweise mit den unsinnigsten, ja abartigsten Beschäftigungen. Sie verkaufen sich und ihre Zeit für Geld, mit den sie dann ihren Kindern Dinge kaufen, statt sich ihnen sel­ber zu widmen.

Eine derartige Verschiebung der natürlichsten Werte erscheint mir Ausdruck einer schlimmen Verirrung zu sein. Doch wenn man dann hört, dass die Väter ihre Familien den ganzen Tag alleine lassen, begreift man, dass die Frauen in ihrer Isolation verzweifeln und ihr zu entfliehen suchen, zumal es in eueren wuchernden Städten keine Großfamilien mehr gibt und auch die Freunde weit verstreut leben.

Kinder alleine können kein Ersatz für soziale Kontak­te sein, können das Bedürfnis nach Begegnung mit anderen Menschen nicht stillen. Zudem wird in einer mate­rialistischen Gesellschaft, der es nur um Haben und Kaufen geht, der Wert der Kinderbetreuung kaum an­erkannt. Nur was sich beziffern lässt, gilt als Wert! Den Kindern ergeht es nicht anders als der Natur. Eine Zivilisation, die sich selber ihre Brunnen und die Atemluft vergiftet, hat natürlich auch das Gefühl für den Wert ihrer Kinder verloren.  

Auch wenn es bei uns in Echra keinen Markt gibt, auf dem Waren und Menschen für Geld gehandelt wer­den, so wissen wir doch, dass ein Zuviel von etwas dieses im Wert sinken lässt, dies Prinzip gilt nicht nur bei Waren. Auch ein Zuviel an Menschen führt zu einer Abwertung des einzelnen. So wie in dünnbesie­delten Gegenden der einzelne viel und in den Massen­quartieren der Städte wenig gilt, so verlieren auch Kinder im Bewusstsein der Gesellschaft an Wert, wenn sie wegen ihrer großen Zahl nicht mehr als Kostbarkeit, sondern vielleicht sogar als Bedrohung von allzu begrenzten Revieren gesehen werden.  

Um die große Wertschätzung für Kindern zu erhalten, sie auch optimal fördern zu können und um auch nicht das ökologische Gleichgewicht zu gefährden, haben echranische Familien selten mehr als zwei oder drei Kinder, wodurch die Gesamtbevölkerung in etwa gleich bleibt. Würde diese wachsen, müss­ten nach und nach die Wälder gerodet und der Le­bensraum der wildlebenden Tiere eingeschränkt wer­den. Dies möchten wir vermeiden, denn die Welt gehört nicht nur den Menschen 

 

1976 Vom Lernen

Kaum da, zeugt das Neugeborene Aktivität- jeder weiß es – durch Strampeln und Schreien. Viel zu früh scheint es in diese Welt gepresst worden zu sein, unfertig, fast blind, ohne Schaltplan, angewiesen auf Seinesgleichen. Und gerade das macht den Menschen. Diese Hilflosigkeit zwingt zum Organisieren, zum Ausrichten an den Verhältnissen. Diese antworten auf die Aktivität des Neugeborenen. Das „Gesetz der Wirkung“, von Skinner als Lerngesetz erkannt, funktioniert von Anfang an. Es besagt, dass eine Aktion durch die Reaktion der Umwelt zukünftig bestimmt wird. Wird die Reaktion angenehm erlebt oder wird dadurch ein unangenehmer Reiz beendet, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens. Wird die Reaktion unangenehm erlebt, tritt das Gegenteil ein.

Nun ist die Welt aber so, dass manche Antworten kurzfristig anders sind, als sie sich auf lange Sicht erweisen würden. Oder das, was dem Einen angenehm ist, kann den Vielen schaden. Das „Gesetz der Wirkung“ kümmert sich auch weder um Moral noch um Vernunft oder um Wirtschaftlichkeit oder um langfristige Nützlichkeit.

Gewiss, es gibt auch ein Lernen aus Einsicht, doch das setzt später ein. 

Doch auch das „Koppelungslernen“, also das sogenannte „Konditionieren“ von Pawlow, das ist auch von Anfang an da. Da nichts für sich allein geschieht, geschieht es also in Anwesenheit von anderem. Und dieses andere, das objektiv betrachtet, eigentlich keine Bedeutung hat, übernimmt die Qualitäten, die wir mit ihm erleben. Essen, Trinken sind ein Wert für sich, von Anfang an da und von existenzieller Bedeutung. Die Menschen, die uns zu essen und trinken geben, koppeln wir schnell mit dem Essen und Trinken. Wie dieses, lieben wir bald diejenigen, die uns damit beglücken. Wir machen das auch mit ihrer Sprache, ihrer Musik, ihrer Art zu reden und zu leben. Das alles geschieht in einer bestimmten Umgebung, auch diese wird mit der Lust des Essens und Trinkens gekoppelt. Wie ein Eisen durch einen Magneten magnetisch wird und nun von sich aus anderes Eisen magnetisieren kann, so überträgt sich die Lust am Essen auf die Menschen, von diesen auf das, was sie sagen und tun. Das muß bekanntlich nicht klug oder sinnvoll sein. Wir übernehmen so alten Abneigung und alte Liebe, Klugheiten und Dummheiten, und auch alles, was mit Gewohnheit und Sucht zu tun hat, etwa Rauchen, Saufen, Religion....

Wie kommt es zu meiner Liebe zur Heimat, zu gewissen Menschen usw.? Na so halt, wie gerade beschrieben! An Worten ist es besonders leicht zu verstehen, diese werden mit Dingen und Tun in Verbindung gebracht, übernehmen deren Qualitäten, und bald stehen die Worte für die Dinge und das Tun. 

Was lässt sich daraus folgern? Zu allererst, dass durch das Konditionieren und das „Gesetz der Wirkung“, Menschen geprägt werden, ja auch abgerichtet werden können. Wenn diese Lernprozesse also einen Menschen über Jahre ausgerichtet haben, dann kann dies nicht  - beispielsweise durch pädagogische oder politische Anordnung – einfach verändert werden. Aus diesem Grunde scheitern auch politische Programme sehr bald, denn ein paar Gebote und Veränderungen, können uns nicht so einfach ändern. Ich sage nicht, dass dies überhaupt nicht möglich ist, aber es ist halt nur sehr schwer möglich und das Ergebnis ist immer unzulänglich und oft nicht von Dauer.

Darum ist die Welt so wie sie ist, und die Menschen in ihr sind aggressiv, egoistisch, faul und denkfaul, einfach weil sich diese Verhaltensweisen offenbar als erfolgreich erwiesen haben.

 

 

Ansichten eines Internatssleiters über Pädagogik 1987

Es ist eine Binsenweisheit, dass es vergleichsweise nicht mehr gute Pädagogen gibt, als es etwa gute Ärzte, Journalisten, Politiker usw. gibt, also nicht allzuviele.

Viele Erzieher und Lehrer haben ihre Berufswahl scheinbar zufällig getroffen, etwa, weil sie ihre Arbeitszeit lieber mit lebenden Menschen verbringen als mit toten Werkstücken oder Akten, was an sich ja schon ein guter Ansatz ist. Nun gehört die Betreuung und Förderung von Kindern und Jugendlichen zu den wichtigsten Aufgaben überhaupt, denn nichts weniger wird dadurch bestimmt als die Zukunft unserer Welt. Leider werden Lehrpläne und Wirklichkeit dieser großen Bedeutung nur wenig gerecht. Man sollte das Gute definieren und beim erzieherischen Handeln immer danach fragen, ob es geeignet ist, diesem Gutem näherzukommen. Was ich persönlich unter diesem Guten verstehe? Beispielsweise alles, was die Menschen gesund macht, geistig und körperlich, was sie befähigt über sich selber hinauszudenken und Verantwortung für andere zu übernehmen, was sie selbständig macht, ihr Gerechtigkeitsempfinden schärft, ihr Problemlöseverhalten schult, ihre Vorstellungskraft entwickelt, sie kausal denken lehrt und die Zusammenhänge dieser Welt zu begreifen hilft, alles was Naturverständnis fördert, gegenseitige Rücksichtsnahme, Bescheidenheit.
Jeder Reisende hat sein Ziel im Kopf. Um wenigstens die richtige Richtung einschlagen zu können, sollten doch wohl auch Pädagogen ihre Ziele umreißen. Ihr Erreichen ist dann sowieso wieder ein ganz anderes Thema, denn die möglichen Wege sind sehr zahlreich. Ich meine aber sicher zu wissen, daß man als Erzieher den Weg immer ein Stück vorangehen muß, was nichts anderes heißt, als daß man nur durch das eigene Beispiel erzieht. Wer erziehen will, hat erst einmal sich selber zu erziehen. Daneben muß ein Pädagoge natürlich die Regeln kennen, nach denen Verhalten gelernt wird und seine Arbeit darauf abstellen, denn ob man die Lerngesetze nun bewußt anwendet oder nicht - funktionieren tun sie auf jeden Fall.
So oft ich auch Erzieherinnen nach ihren Erziehungszielen befragte (was ich mir meist nur im Rahmen des Einstellungsgespräches getraute), eine klare Antwort bekam ich noch nie.
Doch die Schüler schätzen die freundliche Unverbindlichkeit der Erzieherinnen, die nichts fordern und niemals belehren oder den moralischen Zeigefinger heben. Zudem sind sie jung und attraktiv, duzen und lassen sich duzen, überlassen alles Ordnende dem Leiter und machen nach Feierabend die Internatstür hinter sich zu.
Nach meinem Verständnis haben, neben den Pädagogen, auch Berufsgruppen wie Ärzte, Richter, Politiker, Polizisten, Journalisten, Autoren und Künstler eine große moralische Verantwortung, haben gefälligst gerecht, ehrlich, den Schwachen verpflichtet und vorausschauend zu sein. Doch dies ist natürlich naiv, denn bei einer Berufswahl sind andere Aspekte ausschlaggebend: etwa das Ansehen eines Berufes in der Öffentlichkeit, der Verdienst, die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Angst vor den Arbeitsverhältnissen in der Wirtschaft, der zu erwartende interessante Berufsalltag, vielleicht auch die Macht über andere usw. So ist man zwar Erzieher, aber das ist halt nur so eine Berufsbezeichnung. Wirklich erziehen will man niemanden, weil man sich selber im Grunde auch nicht ädern mag. Zudem hat der Begriff den Beigeschmack von Manipulation und riecht nach Politik. Letztere Annahme nicht zu unrecht, denn Erziehung ist wirklich immer eine politische Sache. Entweder erzieht man die Menschen zum Hinterfragen der jeweiligen Verhältnisse oder man tut es nicht, wobei die zweite Möglichkeit die bestehenden Zustände festigt, was hochpolitisch ist. (Dies sieht die Pharisäer, die hierzulande das Sagen haben, natürlich anders, für sie ist nur politisch, was die Menschen aufklärt und zum Nachdenken anregt, da sie in der Folge leicht aufbegehren könnten...)
Manchmal frage ich mich, was auf den Erzieherakademien eigentlich gelernt wird. Doch wie soll über einen Stundenplan menschliche Reife, Humor, Liebe zu den Menschen und Hunger nach Wahrheit und Gerechtigkeit zu vermitteln sein? Überhaupt ist es selbst durch beste Ausbildung nur in sehr beschränktem Maße möglich, gute Pädagogen zu bekommen, denn zum guten Teil entscheiden darüber charakterliche Eigenheiten, also das Persönlichkeitsprofil, das Ergebnis des eigenen Sozialisationsprozesses. Selbstverständlich kann und soll man Erzieher gut ausbilden und ihnen didaktische und psychologische Hilfestellungen geben, doch im Berufsalltag werden sich letztlich die verinnerlichten Konfliktlösemechanismen und der Charakter der Erzieherpersönlichkeit immer wieder vordrängen, besonders dann, wenn es darauf ankommt - in nichtvorhergesehenen Problemsituationen.
Es ist auch kein Trost, daß die verbreitete Wurstigkeit keine Eigenheit von Erziehern ist und es bei Lehrern in dieser Hinsicht sogar eher noch schlimmer aussieht, offenbar haben sich die meisten von ihnen ihren Beruf nur wegen der langen Ferien ausgesucht. Gute Pädagogen sind da wie dort eher selten.
Und ich? Bin ich überhaupt ein solcher? Eine Reihe von Jahren war ich das wohl, heute bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Alleine, weil die erlebten Enttäuschungen verhindern, daß ich - wie in den ersten Berufsjahren - im nötigen Umfang Vertrauen und Liebe investiere, um mir weitere schmerzende Erfahrungen zu ersparen. Nach wie vor mag ich die Menschen und die Fähigkeit mich in sie hineinzuversetzen ist eher noch gewachsen. Auch wenn ich gelegentlich vorschnell richte, läßt mich mein Gerechtigkeitsempfinden keine Ruhe finden, bis ich eine Sache wieder einigermaßen ins Lot gebracht habe. Ich lege auch immer Wert auf die Feststellung, daß es sich bei unangepasstem Verhalten nur um Regelverletzungen handelt, um nicht mehr und nicht weniger. Schlußfolgerungen auf charakterliche Mängel versuche ich grundsätzlich zu vermeiden, da sie niemandem  nützen. Immer wieder nehme ich mir vor, möglichst ohne Strafen auszukommen und noch mehr zu appelieren und in Güte zu regeln. Doch bei der Vielzahl der Schülern im Internat und ihrer dauernden Fluktuation, die wirkliche Vertrauensbildung fast unmöglich macht, sind Strafen einfach nicht zu vermeiden, auch wenn sie erzieherisch nur wenig bewirken. Darum bemühe ich mich parallel zu jeder Strafe, positive Ansätze der Schüler (auch wenn sie noch so klein sind) anzuerkennen und so zu festigen. Das sind übrigens Grundsätze, die bei der Ausbildung zu vermitteln sind und die auch ich durch Einsicht gelernt habe . Daher ist es kein Zufall, daß niemand mich öfter besucht, als die Schüler, die irgendwann bestraft werden mußten.
Es sind auch niemals mehr als etwa fünf Schüler von hundert, die unfähig sind, sich der geforderten sozialen Ordnung anzupassen. Durch besonderes Bemühen um diese schwarzen Schafe gelingt es dennoch zumeist, sie einigermaßen zu integrieren, dies jedoch nur, wenn ihre besonderen Probleme rechtzeitig zu erkennen sind. Leider fehlt meist die Zeit, sich auf einzelne Sorgenkinder länger konzentrieren zu können. Da sich aber einige von ihnen oberflächlich als angepaßt zeigen und unerkannt um so heftiger gegen die Regeln verstoßen, führt dies immer wieder zu tagelangem Ärger, Mißtrauen, Ermittlungen, Verdächtigungen, dem schweren Führen von Nachweisen, Lügen, Verleumdungen, Strafen.-
Meine Schüler sollen ruhig spüren, daß ich ein Mensch bin und wie sie Gefühle habe, die ich nicht verstecken will, Sympathie und Freude ebensowenig wie Empörung, Trauer oder Betroffenheit.



1998 Einsatz aversiver Reize in der Erziehung

Physische Gewalt gegen Kinder als Mittel der Erziehung ist heute in gebildeten Gesellschaften verpönt, ja in vielen Ländern auch unter Strafe gestellt. Jeder Mensch mit Verstand wird bemüht sein mit Worten und vor allem mit seinem eigenen Beispiel zu erziehen. Leider werden dabei oft die Worte zur Peitsche und manche, die jeden Klapps kriminalisieren, foltern ihre Kinder ganz selbstverständlich mit der schlimmsten aller Strafen, mit Liebesentzug. Ist mit der Ohrfeige, die der Arbeiter seinem Buben gibt, die Sache erledigt, quält Liebesentzug die Kinder in der besseren Gesellschaft oft Tage und Wochen. Das Brennen der Wange nach einer Watsche klingt nach kurzer Zeit ab, wogegen der Liebesentzug oft lebenslangen Schaden an der Seele erzeugt.

Das Kriminalisieren physischer Gewalt wird vollends fragwürdig, wenn es um die Erziehung von Kindern geht, die auf Grund ihres Entwicklungsstandes sprachliche Steuerversuche überhaupt nicht begreifen. Um schlimmeres zu verhindern gibt es Fälle, wo alleine das gezielte „Setzen eines aversiven Reizes“ das Mittel der Wahl sein kann und muss. Ich getraue mir das kaum zu schreiben, da ich Sorge haben muss von falscher Seite gelobt zu werden. Doch ich befürworte ganz und gar nicht die körperliche Züchtigung, ich schließe sie nur in ganz seltenen Fällen nicht aus, etwa als Reaktion im Affekt oder zur Abwendung einer akuten Gefahr. Physische Kraft kann aber auch das Mittel der Wahl sein, wenn in extremen Situationen sprachliche Mittel keine Wirkung zeigen, etwa als Ausdruck von „Notwehr“, wenn der Erzieher oder ein Dritter durch den zu Erziehenden terrorisiert wird. Nach meinem Verständnis ist es eine Frage von Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, dass auch ein Erzieher gelegentlich seine Gefühle zeigt. Wenn dies in einer Form geschieht, die dem zu Erziehenden ein gutes Beispiel gibt - auch der Problemlösung - umso besser. Immer aber ist die Anwendung von körperlicher Gewalt Ausdruck von Hilflosigkeit und sollte auch so mit dem Erziehenden diskutiert werden, wenn sprachlicher Austausch wieder möglich ist.

Auf Grund der schlimmen Zustände in der Psychiatrie der Vergangenheit ist heute jeder körperlicher Einsatz auch bei rasenden Patienten verfemt. Nicht so der massive Einsatz von Psychopharmaka, was den Menschen oft aufs schwerste schädigt. Während aversive Reize als Antwort auf untragbares Verhalten u.U. noch einen Lernprozess auslösen, tun dies chemische Mittel mit Sicherheit nicht und verschaffen der pharmazeutischen Industrie Kunden auf Dauer.