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Geiss Haejm        

 

Gedanken zur Kunst im Allgemeinen und zu meinen Annäherungen dazu im Besonderen...

 

 Texte entstanden von 1980 bis 1992 /

 

Copyright baam edition 94227 Zwiesel, Klotzer 18, Tel & Fax 09922-60101/

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 Inhalt:

Kunst nur Selbstzweck?

Was ist Kunst?

Von Nichts kommt Nichts

Lohn der Kunst

Kunst als Mittel?

Kunst passiert im Kopf

Rede zur Ausstellungseröffnung in Deggendorf 1983:

Rede zur Eröffnung Ausstellung in der Burg Weißenstein 1985:

Aus dem autobiographischen Roman "Der Einsiedler" 1989

Lob der künstlerischen Arbeit

Mein "Kampf" mit der Kunst

Ablenkungen

Puzzletexte

Hehrer Vorsatz

Worte trivialisieren die Musik!

Lob der Stimme als Instrument

Outside vom Blues

Fähigkeit zum Spiel

Lob der Expression

Krücke Sprache

Kontemplative Kunst

Werke wachsen in den Pausen

Aufgabe des Künstlers

Über das moderne Theater

Selbsterkenntnis

Technomusik,

Die künstlerische Arbeit war mir nie Handwerk

20.11.86 Trivialisieren durch Gitarren

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"Kunst, total verhunzt!" reimt der Volksmund.

"Kunst kommt von Können!" sagen meine Lehrer.

"Das ist keine Kunst!", höre ich, wenn einer was tut, was andere auch können.

 

Kunst nur Selbstzweck?

Im Lexikon finde ich Kunst definiert als: "gestaltende Tätigkeit des Menschengeistes in Architektur, Plastik, Malerei, Grafik, Musik, Dichtung, Theater, Tanz..., im Gegensatz zur Natur und zum Handwerk." Und es heißt, dass "freie Kunst nicht zweckgebunden" sei.

Ist Kunst also gestaltende Tätigkeit um ihrer Selbst willen? Selbstzweck, ohne Ziel, nur Zeitvertreib, schönes Spiel also, ohne praktischen Nutzen, ohne Wirkung?

War dann der zum Faustkeil zielgerichtet geformte Stein also keine Kunst? Oder das absichtliche Schmelzen des Erzes, die Komposition eines Verbrennungsmotors, die einer Atombombe?

Gibt es überhaupt zweckfreies menschliches Tun? Ist nicht das abstrakte Komponieren origineller Farben und Materialien auch Ausdruck irgendeines Antriebes? Vielleicht nicht so unmittelbar als praktische Sache erkennbar, wie die Herstellung eines Werkzeuges, aber doch motiviert, etwa durch Erhoffen gesellschaftlicher Anerkennung - die sich auch in bezifferbaren Vorteilen niederschlagen kann - in Erstreben eines Selbstwertgefühles durch "gottähnliches Erschaffen von Neuem", und -  wenn es Schaffen aus reiner Freude am Schaffen geben sollte, wessen ich sicher bin, dann ist damit eben Lust verbunden, deren Erstreben wohl auch etwas Zielgerichtetes ist.

Wenn die Schaffung oder die Betrachtung eines Werkes Gefühle und Gedanken erzeugt, vielleicht sogar den Horizont erweitert, gedankliche Grenzen sprengt, neue Gedanken entstehen lässt, entspannt, Lust schenkt oder heilsame Empörung und damit die Kraft zu einer notwendigen Veränderung, dann ist dies doch eine Wirkung, vielleicht ein Nutzen, der den einer Schaufel oder eines Rades vielleicht noch übertrifft.

 

Was ist Kunst?

Intelligenz sei das, was der Intelligenztest misst, erklärte ein Psychologe. Analog dazu schließe ich, das Kunst dann das ist, was auf dem Kunstmarkt seinen Preis hat. Und seinen Preis hat nur, was bekannt ist und gerühmt wird, das Gefallen kommt dann irgendwann von alleine.

Kunst wäre dann also vor allem eine Ware, die als Kunst bezeichnet wird. Kunst - also nur Etikettierung für Objekte, die von Menschen aus bestimmten Motiven als Kunst definiert werden?

Es gibt keine allgemein gültigen Wertmaßstäbe für Kunst. Was bleibt ist der individuelle Geschmack, über den sich bekanntlich nicht streiten lässt. Es sind also letztlich Gefühle, auf die es ankommt, aber was wäre für uns sonst von Belang?

 

 

Von Nichts kommt Nichts

Ein aus Vorhandenem Auswählender wird von Kritikern und Kunstpäpsten als unoriginell wenig geachtet und Eklektiker genannt. (Von jenen Leuten also, die sich ihre Weisheit, ihr Kunstmaß, natürlich angelesen haben). Den Nachahmer großer Vorbilder verspotten sie als einen Epigonen. Doch steht am Anfang immer die Nachahmung. Der ganze Erfolg der menschlichen Entwicklung beruht darauf. Gäbe es das Nachahmungslernen nicht, müsste ein jeder wieder alles neu erfinden, alle Lernprozesse durchleben. Es ist also nur recht und billig (genau betrachtet gar nicht anders möglich), dass wir vorhandene Steine aufsammeln und daraus ein neues Haus bauen. Doch selbst das Haus ist ein vorgefundener Gedanke und mancher, später als genial und groß empfundene Versuch, ist aus verunglückter Nachahmung entstanden. Aus nichts kommt nichts und diese Wahrheit stimmt auch hier. Alle schöpfen aus Vorhandenem und wenige kombinieren dieses Vorhandene zu Neuem.

 

Lohn der Kunst

Seinen Lohn hat der Künstler schon beim Arbeiten, oder er bekommt ihn nie. Wenn es einem gelingt etwas so zu schaffen, wie man es in sich fühlt, dann ist das eine kaum überbietbare Lust. Wenn ein späterer Betrachter, Hörer oder Nachdenker davon einen Zipfel erhaschen kann, dann freut das den Künstler, natürlich auch wenn dadurch die brotlose Kunst zu Brot wird. Doch während des Schaffensprozesses hat das für ihn keine Bedeutung.

 

Kunst als Mittel?

"Kunst darf nicht nur dekorativ-ästhetischen Ansprüchen genügen, sondern muss sich auch ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung bewusst sein!". Dies forderte ich Anfang der achtziger Jahre. Ich meinte damit, dass sich Künstler nicht damit begnügen dürfen das sinkende Schiff Erde ein wenig zu dekorieren und den vielen Rost stellenweise mit Farbe zu überschminken. Und jetzt, über ein Jahrzehnt später? Achselzucken.

 

 

Kunst passiert im Kopf

Wodurch und womit künstlerisch geschaffen wird, ist alleine Handwerk. Die eigentliche Kunst passiert im Kopf und ist meist nur eine Sache von Sekunden.

 

Rede zur Ausstellungseröffnung in Deggendorf 1983:

Sie hören heute meine Lieder und Texte und sehen an den Wänden meine Bilder. Bei mir ist es so: Was mich längere Zeit beschäftigt, muss ich verarbeiten, versuchen, für mich auf eine Formel bringen. Ich suche dann nach der angemessenen Ausdrucksform. So entsteht einmal ein Bild, ein anderes Mal ein Lied, dann eine Geschichte, seltener eine Skulptur, manchmal ein Text. Immer suche ich nach einer möglichst kurzen Zauberformel, wenn diese dann auch ein passender Schlüssel zum Kopf und Bauch meiner Mitmenschen ist, umso besser. Aber ob das, was bei diesem Bemühen schließlich herauskommt Kunst ist, spielt bei mir als Beweggrund kaum eine Rolle. Das sage ich mit einem gewissen Hochmut gegenüber dem, was man so als Kunst versteht. Sie scheint mir ein Geschäft zu sein, wie jedes andere. Mein Schaffen ist davon bislang gänzlich unbeeinflusst.

Zudem läuft der eigentliche künstlerische Prozess unsichtbar im Kopf ab. Seine Umsetzung in visuell oder akustisch wahrnehmbare Werke, ist mehr eine handwerkliche Angelegenheit, das Ergebnis immer nur ein müder Widerschein der ursprünglichen Idee.

Meine Kunst ist mir aber nicht nur Transportmittel für Gedanken, die Form ist mir schon auch wichtig, doch darüber kann ich nicht reden, denn hier werde ich vom Bauch bestimmt und dieser formuliert nicht.

Ich zeichne seit meiner Kindheit, wodurch sich eine gewisse handwerkliche Geschicktheit entwickelte. Während meiner Fachschulzeit übte ich diese Fertigkeit weiter und lernte themenbezogen zu arbeiten, in dieser Zeit kam ich auch mit moderner Kunst in Kontakt. Ir¬gendeine wirkliche künstlerische oder kunsthistorische Ausbildung habe ich nicht genossen. Man kann daher sagen, dass mir "nur wenig künstlerische Bildung im Weg steht. Diese Formulierung ist kein Kokettieren, denn ich kenne Kunsterzieher, die sich nicht mehr selber zu malen getrauen, weil sie zuviel über Malerei wissen.

Aber es nicht nur das Wissen, das künstlerisches Tun nicht fördert, das Entscheidende ist der Antrieb, ich meine, ob man etwas auszudrücken hat, ausdrücken muss. Das ist meine Stärke: ich male, weil ich malen muss. Ich mache dies mit recht gewöhnlichen Mitteln, ohne Kenntnis moderner, effektvoller Techniken.

Da meine Arbeiten so sehr inhaltlich motiviert sind, weiß ich nicht, wie lange ich künstlerisch arbeiten kann. Ich meine eigentlich bei jeder Arbeit, dass diese meine letzte sein kann, denn mit ihr habe ich den mich beschäftigenden Gedanken ja "erledigt". Und ob immerzu ein neuer kommt - wer kann so etwas schon voraussagen.

Als Mundartliederdichter ist mein Hörerkreis geographisch arg beschränkt. Die Malerei dagegen ist sozusagen meine internationale Ausdrucksform. Bei Bildern kann sich jeder seine Gedanken machen, auf chinesisch grad so wie auf englisch oder bayerisch.

 

Rede zur Eröffnung Ausstellung in der Burg Weißenstein 1985:

Gelegentlich höre ich, meine Arbeiten seien überzeichnet und nicht ausgewogen. Richtig, doch wäre eine ausgewogene Kunst nicht etwas sehr lächerliches?

Manche Dinge und Vorgänge bleiben den meisten Menschen unsichtbar, sei es durch Reizüberflutung oder Gedankenlosigkeit. Nur überzeichnete, provokative oder besonders originelle Signale dringen in die Köpfe. Ich schließe mich Günther Anders Meinung an, dass Überpointierung nicht der Lust an Pointen entspringt, sondern der Sorge, anders nicht gehört zu werden.

Zur Ausgewogenheit. Ich bin Erzieher und kann als Künstler niemand anders sein. Es ist ein überaus fruchtbares Wechselspiel, das eine befruchtet das andere. Der Schaffensprozess wirkt sehr vorteilhaft auf mich selber, weil er mein Leben bereichert und versüßt, was wiederum inhaltlich in die Arbeiten einfließt. Daneben setze ich mir mit dem Schaffen selber Orientierungsmarken, denn ein Erzieher sollte ja zu allererst sich selber erziehen.

Als solcher suche ich das Gleichgewicht. Weil ich es in der Wirklichkeit nicht vorfinde, muss ich der einen oder anderen Seite gleichsam durch Überzeichnung ein Gegengewicht verschaffen, also durch Unausgewo¬genheit versuchen ein wenig Ausgewogenheit herzustellen!

Meistens beziehe ich Stellung, versuche die Gleichgültigen wachzurütteln, ihnen mit meinem Beispiel Mut zu machen, versuche Zusammenhänge aufzuzeigen und an die Wurzeln zu gehen.

In der Gewichtung schwanke ich manchmal zwischen Ästhetik und Ethik, wobei mir letztere im Zweifelsfall wohl doch mehr bedeutet. Doch verlasse ich mich auch hier auf mein Gefühl und das rebelliert, wenn beides nicht zusammenklingt.

Es gibt keine Kunst im luftleeren Raum, immer spiegelt sie auch den Schaffenden, seine Zeit, seine Hoff¬nungen, Leidenschaften, Sorgen und Befürchtungen und seine spielerische Kraft. Kunst ist nach meinem Empfinden erst Kunst, wenn sie ein Spiel ist, doch das gilt für jede wirkliche Arbeit.

Wenn ich so nach Ausgewogenheit durch Unausgewogenheit strebe, bin ich durchaus auf der Hut mich vor keinen Karren spannen zu lassen, den ich nicht mitziehen will. So bin ich bemüht, mich mit meinem Schaffen stets auf die Seite derer zu stellen, die eine größere Gewichtung benötigen, das sind naturgemäß niemals die Reichen und Mächtigen.

Der künstlerischen Arbeit widme ich mich nur in den Pausen, die mir mein pädagogischer Brotberuf lässt, dafür gibt es mehrere Gründe. Wollte man von der Kunst eine Familie ernähren, wäre das eine recht unsichere Sache. Man müsste um die Gunst von Galeristen, Kritikern, Mäzenen und der des Publikums buhlen, was mich völlig lähmen würde. Nur wer nicht von seiner Kunst zu leben braucht, kann frei arbeiten. Ein nicht unbedeutender Nebeneffekt ist, dass man nicht zu sehr aus der Realität abgleitet, in der einen ein Brotberuf verankert. Dieser Umstand war mir durch die kostenlose Darreichung der ganzen Palette menschlicher Unzulänglichkeiten auch eine bislang unerschöpfliche Schaffensquelle.

 

 

  Aus dem autobiographischen Roman "Der Einsiedler" 1989

1

Ich liebe es mit Tönen zu spielen, keinen anderen Sinn verfolgend, als den Ohren zu schmeicheln. Wie schön ist doch Musik, die nur die Ohren und die Herzen der Menschen berührt und sonst die Welt lässt wie sie ist!

Irgendwann, oft erst nach einer Stunde, wenn ich mich in Phrasen fest zu flöten beginne, lege ich das Instrument zur Seite, nehme einen kräftigen Schluck Apfelmost und schreibe oder zeichne auf, was mir beim Flöten in den Sinn kam. Danach, vielleicht wieder nach einer Stunde, beschließe ich den Tag mit der Lektüre eines Buches.

 

Ich liebe es in Büchern nachzuempfinden, was ein Mensch einmal gefühlt und gedacht hat, freue mich, wenn ich neben einer Handlung Tiefe finde, wenn Bücher mehrere Ebenen haben und wenn ich - in den Zeilen oder dazwischen - Liebe zu den Menschen spüre und Sehnsucht nach dem Gutem und Schönem. Ich fühle mich Autoren verbunden, die schon lange tot sind, die aber in mir wieder zu leben beginnen, wenn sie es nur schaffen mich zu bewegen.

Erst seit ich um die Mitte der achtziger Jahre alles erreicht oder wenigstens reichlich probiert hatte, was mir wichtig schien, hörte ich auf ein Getriebener zu sein und wurde zu einem Leser, wie ihn sich Schriftsteller wünschen. Einer der offen ist für alles Feine und Zarte, einer, der ein Buch nicht wie ein Ausgehungerter nach Essbarem durchstöbert, sondern sich geduldig durch gedankliche Labyrinthe führen lässt und seinen Geschmack soweit verfeinert hat, dass er auch an Ungewürztem Genuss empfindet.

 

2

Wer nicht zuhören kann, wer nur am praktischen Nutzen interessiert ist, wer in Büchern praktische Schaltpläne für den Alltag sucht - wie soll der sich einer Er¬zählung von Thomas Mann hingeben können oder einer von Fjodor Dostojewski, Leo Tolstoj, Hermann Hesse, Adalbert Stifter, Max Frisch, Umberto Ecco, Hans Bemmann, Arnold Zweig? Wie soll der sich an den Gedanken eines Goethe, Nietzsche, Laotse oder Humboldt erfreuen können?

Nur wer die Menschen liebt, wen interessiert was sie machen, denken und fühlen, hat das Zeug zu einem richtigen Leser. Ich bin in den letzten Jahren zu einem derartigen geworden, habe die dazu notwendige Ruhe gefunden und das innere Gleichgewicht. Dieser Zustand war erst möglich geworden, als ich alles gesagt hatte, was ich meinte sagen zu müssen. Wer kann schon ein volles Gefäß noch weiter füllen? Und ich war übervoll gewesen, voller Sorge um alles Lebendige, das ich aufs Äußerste bedroht sah, voller Abscheu und heiligem Zorn gegen diejenigen, die ich als Schuldige ausgemacht hatte. Wie sollte ich da Muse finden über Zweiglein nachzudenken, wenn ich den ganzen Wald bedroht sah? Erst als ich meine Anklagen in die Welt hinaus geschrien hatte, war mir eine große Last von der Seele genommen.

 

3

Heute verstehe ich meine frühere Geringschätzung der Literatur nicht mehr, als sie mir Zuckerwerk und Hirngespinst für Müßiggänger war. Denn stammt nicht alle menschengemachte Wirklichkeit aus Gespinsten des Gehirns? Spiegelt sich darin nicht immer auch die Wirklichkeit? Und haben nicht immer Gedanken, ob zu Drucklettern erstarrt oder nur in menschlichen Köpfen vorhanden, die Welt verändert? Niemand wird dies wohl ernsthaft bestreiten, wenngleich dabei nur selten an schöngeistige Literatur denkend. Doch auch das Gute und Feine muss erst einmal gedacht und ausgesprochen werden, damit es nachgedacht und vielleicht auch menschliches Verhalten bestimmen kann. Alles Gute scheint mir aus guten Tagträumen zu erwachsen, diese wiederum gibt es nur durch die Erfahrung des Bösen, des Verwerflichen, des Zerstörerischen. Mit dieser Erkenntnis einhergehend gewinnen auch die konkreten Lebenserfahrungen der Menschen, ihre Meinungen, Hoffnungen, Erfolge und Irrtümer an Bedeutung.

 

4

Vor Jahren habe ich auf einer Kunstausstellung auf die Frage, wie es mir gefallen habe, mit einem ehrlich empfundenen, aber dummen "grässlich!" geantwortet, heute lobe ich was mir gefällt und schweige über das andere. Es ist aber nicht nur ein Mehr an Freundlichkeit, das zu diesem Sinneswandel geführt hatte, vielmehr die wiederholte Erfahrung, wie sich Einschätzungen, Interessen und Schönheitssinn wandeln können, wenn man sich nur ein wenig Offenheit zu bewahren versteht. Wie oft gefällt einem etwas nur nicht, weil man es nicht ver¬steht, um es dann ein paar Jahre später zu bewundern. Ich denke an die deutsche Expressionisten, mit deren Malereien ich einmal so wenig hatte anfangen konnte und die ich heute so liebe, denke an Picasso, Bach, Händel und Beethoven, an Goethe, Nietzsche, Frisch und Thomas Mann, mit denen es mir einmal ähnlich ergangen war, denke aber auch an Apfelmost, Gartenarbeit und frisches Gemüse - alles Dinge, die ich ebenfalls einmal abgelehnt, nun aber um so mehr ins Herz geschlossen habe.

Zu jenem harten Urteil über die Ausstellung soll aber doch entschuldigend angemerkt werden, dass ich damals von der Sorge um die sterbenden Wälder und der Angst vor immer neuen Atomraketen erfüllt war, von denen ich die Zukunft unser Kinder bedroht sah. Nur diejenige Kunst schien mir in jener Zeit Berechtigung zu haben, die Menschen wachrüttelt und zur Umkehr mahnt; das Pinseln von Idyllen, erschien mir so, als würde einer die Planken eines sinkenden Schiffes mit Blümchen verzieren.

 

5

Mit den Jahren bin ich geduldiger geworden, toleranter, vielleicht ein bisschen weiser - oder hat nur meine Gleichgültigkeit zugenommen?

Kitsch kann ich zwar noch immer nicht ausstehen, doch ich schimpfe darüber nur noch leise und wende mich dem zu, was ich als Kunst zu erkennen meine, auch wenn thematisch von Politik und Ökologie meist nicht die Rede ist. Doch mittlerweile habe ich erkannt, dass wirkliche Kunst durch ihre Ehrlichkeit, ihrer kompromisslosen Suche nach neuen Ausdrucksformen, alleine durch ihre Existenz politisch ist, weil sie das Denken der Menschen anstößt, weil sie nichts mit dem Kleinkarierten, mit dem Dumpfen, mit dem Engen gemein hat, was ich als Schoß allen Übels ausgemacht habe.

 

Lob der künstlerischen Arbeit

Moderne Kunst mag dem betrachtenden Laien als lockere Sache erscheinen, als Spaß vielleicht sogar, ge¬wiss aber als etwas, was der Erbauung und Freude dient. Auch für den Künstler erscheint sie zeitweise so etwa, wenn einem die Idee kommt, oder wenn die Arbeit im Flusse ist, dazwischen steht aber oftmals die Qual des Konzeptes, die Schwierigkeit einen "Götterfunken", der ja meist nicht mehr ist als eine Ahnung, ein erhebendes Gefühl in der Brust - in wahrnehmbares Ding zu verwandeln, etwas noch nicht vorhandenes in die Welt zu bringen. Doch übersetze einmal ein Gefühl in Sprache, in Farben oder Töne! Aber gerade dieses Erschaffen ist die eigentliche Kunst, das, was die Kunst vom Kunsthandwerk trennt, den Künstler vom Kunstfertigen. Nicht das handwerkliche Geschick unterscheidet (von diesem hat jener nicht selten mehr), umso mehr der Hunger nach dem Schaffen von Neuem, das drängende Bedürfnis, der innere Zwang zur Gestaltung etwa einer Oberfläche auf nie da gewesene Weise, die Neukomposition von Materialien und Reizen, Tönen oder Worten; der Drang Zusammenhänge aufzuzeigen, neue Verbindungen herzustellen, Gedanken fest zu halten.

Während das Kunsthandwerk Arbeit ist, weil auf irgendeine Art fremdbestimmt, so ist Kunst, wie ich sie verstehe, die höchste Ausdrucksform des menschlichen Tuns: Exploration, Elaboration, Emotion, Spiel.

 

Mein "Kampf" mit der Kunst

1

Bei mir war es immer so: nur was in einem Zug entstand, zumindest in den Grundzügen, war gut und blieb es auf Dauer. Alles zäh Entstandene wurde leicht langweilig, trocken, gestelzt, künstlich im schlechten Sinn, eben nicht aus einem Guss. Immer wenn ich an Bildern tage- und wochenlang pinselte, nahm ich ihnen ihr Leben, verlor sich für mich ihr Reiz durch Ge¬wöhnung. Wieviele Bilder habe ich totgemalt und danach zerstören müssen, weil ich sie nicht mehr sehen konnte!

Durch den Verzicht auf derartiges Tun beraube ich mich aber auch glückspendender, anheimelnder handwerklicher Tätigkeit, die kein dauerndes quälendes Erschaffen verlangt, an der man sich auspinseln, bei der man meditieren, Musik hören, Tagträumen kann (ach, wie erholsam kann das sein!), eine leistbare, überschaubare Arbeit, die einen schon am Morgen be¬grüßt und zum Schaffen einlädt.

Heute habe ich gelernt mir diese verlorenen Glücksgefühle durch nützliches handwerkliches Tun anderer Art zu beschaffen, denn wirkliches künstlerisches Schaffen (oder was ich dafür halte) verlangt alle Konzentration, ist ein hochdramatischer Vorgang, ein Kampf zwischen Geist und Materie, bei dem letztere meistens siegt. Und sein Einfallen ist dem Willen und dem Kopf entzogen, ist ein Geschenk (der Götter?), grad wie etwa die Zuneigung, die Lust, der Schlaf und der Stuhlgang.

 

2

Eine leere Fläche schreit nach Gestaltung - doch wo anfangen - und wie? Es gibt immer unzählige Möglichkeiten, noch niemals zuvor begangene Wege. Alleine die Wahl des Werkzeuges entscheidet über so viel. In Sekunden ist alles entschieden - wer führt mir die Hand? Der Verstand oder das Gefühl? Gerade der Geübte ist voller Phrasen, tausendmal eingeübter Linien, fertiger Muster - gerade das, was man Fertigkeit nennt, steht einem beim freien Gestalten am allermei¬sten im Weg. Schau nur einmal die Bilder von Kindern an, wenn man sie noch nicht abgerichtet hat ein Gesicht so, und einen Baum so zu malen, wenn sie noch nicht versaut sind, mit Kenntnissen von Stilen und Kunstkriterien, von geschickter Linienführung und Farblehre. Beim Musizieren ist es gerade so. Warum haben gerade diejenigen die größten Schwierigkei¬ten zu improvisieren, die auch den kompliziertesten Notenverhau noch flüssig vom Blatt spielen können? Wenn diese Musikanten sich schließlich (in wenigen Fällen gelingt es überhaupt) zum Improvisieren durchkämpfen, dann hängen sie immer noch am Tropf, haben die Notenvorlage durch eingeübte "freie" Phrasen ersetzt, denen sie durch geschicktes Mischen den Anschein von Improvisation geben. Wirklich spielerisch an ein Instrument herangehen kann nur derjenige, der sich weder an Geländer, noch an Geleise gewöhnt hat und - auf einer höheren Ebene - derjenige Könner, dem es gelungen ist, sich von diesen Gängelein zu befreien; meines Wissens gibt es davon aber nur vereinzelte Exemplare. Es ist eben so: zuviel Bildung und Können stehen dem Schaffenden nicht selten im Weg.

 

3

Zu mir. Ich habe schon frühzeitig gelernt nach der Natur zu zeichnen.

Lange Zeit galt die Perfektionierung dieser Fertigkeit als der Inbegriff von Kunst. Wer die besten flächigen Illusionen erzeugte, galt als der größte Künstler, ich erreichte hier bestenfalls mittlere Ergebnisse.

Dagegen schaffte ich es erstaunlich früh, das kleinliche lllusionieren aufzugeben und mit Zeichenstift oder Pinsel locker, im Stile eines wild kritzelnden Karikaturisten, zu hantieren. Doch irgendwie konnte ich diese Fertigkeit nicht recht ernst nehmen, war alles doch viel zu schnell fertig und mir bekannte Künstler pinselten wochenlang an einem Bild herum. Also begann ich diese nachzuahmen und heraus kamen jahrelang starre Bilder, wenngleich sie wegen der Bildidee oder ihren kritischen, politischen oder ökologischen Inhalten, lobende Betrachter fanden.

Als ich inhaltlich alles gesagt hatte, wurde mir die Schwäche meines Stiles bewusst und ich experimentierte viel herum. Da sah ich bei einer Ausstellung, an der ich auch beteiligt war, Bilder, wie ich sie in meinem Herzen schon oft gemalt hatte - wild und lebendig und scheinbar nur so hingefetzt. Das war es! So konnte ich auch malen! So wollte ich auch malen! Das war wirkliche Malerei! Ich besuchte den Maler, Peter Zeiler, und erfreute mich an seinen Bildern. Doch meine Malerei wurde dadurch noch lange nicht besser. Zeilers Malart kopieren wollte ich eben so wenig wie zehn Jahre zuvor die von Hundertwasser, Paul Klee, Egon Schiele oder von Max Ernst, deren Bilder mich auch einmal sehr begeistert hatten.

Ich musste anders malen, wie - das hatte ich nur als dumpfes Gefühl in der Brust. Wie es so ist, wenn man sich in einer Krise fühlt, kamen plötzlich verstärkt all die Medien - deren Aufmerksamkeit man sich früher so gewünscht hatte - und wollten mich porträtieren. Sie konnten nur schwer begreifen, dass ich mich nicht als Maler vorstellen lassen wollte, wo ich doch gegenwärtig keiner war! Meine alten Arbeiten vorstellen wollte ich nicht, wollte sie weder zei¬gen noch verkaufen, ja hätte sie am liebsten mit Stumpf und Stiel ausgerottet, (grad so wie meine erste Schallplatte).

 

Doch tief in mir saß weiterhin die Gewissheit ein Maler zu sein. Ich spürte, dass dort Hunderte von Bildern warteten von mir gemalt zu werden - ich spürte ganz deutlich wie sie sein würden: wild und bunt - und doch konnte ich sie nicht hervorbringen.

Gelegentlich überfiel mich große Mallust, der ich dann auch nachgab, deren Ergebnisse mich aber immer enttäuschten. Nie habe ich so viele Bilder zerstört wie damals. Dazwischen gab es öfter kurze Arbeitsphasen, in denen ich glaubte, es endlich geschafft zu haben - doch mit dem Fortgang der Arbeit entwickelten sich die Bilder wieder so, wie ich sie hasste, weil ich immer wieder in alte Gestaltungsphrasen zurückfiel. Wie oft schwor ich mir, mit der Malerei endgültig aufzuhören! Das Ganze war eine Tragödie, ein Kampf und ein Krampf, mit Spiel und Freude hatte es jedenfalls nichts zu tun. Dann wieder meinte ich es geschafft zu haben: ich zeichnete irgendwelche Szenen mit kräftigem Pinselstrich, ließ die Linien durcheinander laufen, dass hinten und vorne verschwand und pinselte, das Bild verfremdend, die von Strichen umrahmten Flächen bunt und flächig aus, manchmal ohne auf Zusammengehörendes Rücksicht zu nehmen.

Eine Weile meinte ich, nun endlich "meinen" Stil gefunden zu haben - einen, der mir erlaubte, etwas wild nieder zu zeichnen und dann gemütlich in Farbe zu schwelgen. Mir gefielen meine Durchdringungen, in denen es weder Hinten noch Vorne gab - das konnte keine Kamera - war das die Malerei, die ich so lange in mir gespürt hatte? Sie war es nicht, auch wenn ich für diese Bilder von einigen Betrachtern recht gelobt wurde (andere wandten sich höflich schweigend ab) und ein Bild sogar für einen beachtlichen Preis verkaufen konnte. Die Leere danach war eher noch tiefer. So ging die Suche nach "meinem" Stil weiter. Heute weiß ich, dass diese Vorstellung eine Illusion ist, zumindest für mich, denn ich werde mir lebenslang immer wieder "meinen" Stil erkämpfen müssen, wie in allen anderen Lebensbereichen auch. So wird jedes Bild, jede Geschichte, jedes Lied immer eine unverwechselbare Sache sein, mit bestimmten Verwandtschaften zwar, aber doch aus dem Bemühen geboren, etwas Neues zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass es mein künstlerisches Todesurteil wäre, würde ich "meinen" so lange gesuchten Stil wirklich finden.

Kunst kommt von künstlich

Kunst kommt nicht von Können, auch wenn das Generationen von Lehrern immer wieder behaupteten. Kunst kommt von "künstlich", im Gegensatz zum Natürlichen, zur Natur. Mit allem Künstlichen versuchen die Menschen es der großen Schöpferin Natur oder dem lieben Gott nachzutun. Mit ihren bewussten Schöpfungen suchen sich die Menschen von den Tieren abzuheben, die auch ohne diese anmaßenden Spielereien gut leben können.

 

Ablenkungen

Wie soll man einen Roman schreiben, wenn überall Bücher herumliegen und zum Lesen verführen, wenn täglich eine Zeitung im Briefkasten steckt, Briefe, die beantwortet werden wollen. Wie soll man schreiben, wenn einen der Büroalltag mit hundert Sachzwängen am Wickel hat? Wie, wenn im Fernsehen Steffi Graf Tennis spielt und es mehrmals täglich wunderbare Dinge zu essen gibt?

Wie soll man schreiben, wenn draußen die Sonne lacht und die Bienen summen, wenn die Kinder lachen und wenn Besuch kommt? Wie, wenn das blaugrüne Wasser der Kiesweiher lockt, die schattigen Wertachauen zum Spazieren gehen, die blühenden Kräuter zum Sammeln?

 

Puzzletexte

Seit ich den Werther gelesen habe, kann ich mich nicht mehr mit der klassischen Romanform anfreunden, sie erscheint mir so eng. Auch im Falle meiner persönlichen Erinnerungen scheint mir eine tagebuchähnliche, notizenhafte Form geeigneter zu sein. So beschloss ich dem Leser Gedanken und Erlebnisse wie ein Puzzle anbieten, das Gesamtbild möge er selber zusammenfügen. Puzzleteilchen kommen Erinnerungen auch am Nächsten, denn wer kann aus seinem Leben mehr als Momentaufnahmen wiedergeben? Immer handelt es sich dabei um Blitzlichter von Vorgängen, kurz, aus einem bestimmten Blickwinkel, durch eine bestimmte Blende, eine bestimmte Entfernungseinstellung aufgenommen.

 

 

Hehrer Vorsatz

Ich trage meine Kunst nicht mehr auf den Markt, den zuwider ist mir alles Marktschreierische und unangenehm jeder Handel.

 

 

Worte trivialisieren die Musik!

Als Liedermacher weiß ich wovon ich spreche: Worte trivialisieren die Musik! Die Komposition von Tönen und Rhythmen hat oft was "göttliches“, doch sobald man einen Text dazu macht, wird das ganze albern, menschlich beschränkt, trivial eben. Deswegen lässt sich eine italienische Oper oder ein amerikanischer Folksong mit deutschen Ohren auch mehr genießen, weil man den Gesang als eine Art Instrumentenklang empfindet und den albernen Inhalt nicht oder nur brockenweise versteht.

 

Lob der Stimme als Instrument

Nicht immer ist es so, dass ein größeres Verständnis einer Sache die Lust an ihr erhöht. So verlor der langjährige Freund der Rockmusik ein gut Teil seiner Freude an ihr, als sich seine Englischkenntnisse besserten und er von den Liedertexten mehr als nur Bruchstücke verstand.

War ihm bislang der Gesang von exotischem Reiz, die fremdklingende Stimme angenehmem Instrumententon vergleichbar, so schwand mit dem Verständnis der überwiegend banalen Texte viel Geheimnisvolles und kaum ein Stück konnte er mehr als dreimal hören...

 

 

Outside vom Blues

Der Blues war die wichtigste Spielwiese meines Lebens. Seine geordneten Harmoniefolgen boten gleichzeitig Platz und Schutz, waren wie ein Zaun, in dessen umfriedeter Fläche ich nach Herzenslust probieren und herumtoben konnte. Der Blues war mir Freiheit, aber auch Geländer, auf das ich mich stützen konnte. Heute ist er mir schon mal ein Gefängnis, in dessen Mauern ich mich mit Phrasen quäle.

Außerhalb finde ich jede Menge anderer umzäunter Systeme, klassische, folkloristische, triefend harmonische, populistische und eine Menge von der Sorte, deren Abgeschmacktheit, Leere und Phrasenhaftigkeit schon von weitem hörbar ist. Ich machte große Bogen darum. Da ich viel zu sagen hatte, suchte ich mir eine neue Spielwiese, in der auf Sprache und Inhalt Wert gelegt wurde.

Musikalisch konnte ich mich dabei überall bedienen, mir von allen Systemen holen, was geeignet schien. Über zwanzig Jahre fühlte ich mich wohl in diesen Schranken, bis ich es leid war, Musik zum Transport von Gedanken zu benutzen.

Ach, wie oft stand ich an den Mauern und schaute drüber hinaus! Da lagen, wie ehedem, die umzäunten Systeme in ihrer ganzen Enge. Darum herum war nur Chaos, lagen Töne und Rhythmen verstreut, mit allen Möglichkeiten sie neu zu verbinden. Gelegentlich hörte ich aber Musiker durch dieses Chaos ziehen.

Vorsichtig tastete ich mich auch dahin vor, schwer beladen mit meinen Ketten von Blues, Rock, Klassik und Folk. Sie behinderten mich bei jedem Ton, den ich spielte, sie abzuschütteln gelang mir nur selten. Alles was ich mühsam erarbeitet hatte, lag schwer auf meinen Fingern. Manchmal hob ich sie trotzdem und landete nach kurzem Freiflug bald wieder in Phrasen, gelähmt durch meine Fertigkeiten. Wie sollen, ich Armer! meiner Finger Klänge den unersättlichen Ohren - die meinem Herzen entwachsen - je gefallen?

 

 

Fähigkeit zum Spiel

Geregelte Spiele waren für mich lange Zeit nur Zeitvergeudung, Dieben gleich, die einem die Zeit stehlen. Nur wenn ich spielerisch neues schuf, erst recht, wenn das Geschaffene nützlich war, hatte ich das Gefühl, mein Leben nicht zu verschwenden. Ich wollte jede Minute meines Lebens mit derartigem Sinn füllen: Kinder erziehen, Bäume pflanzen, die Welt mit Bildern, Liedern und Texten bereichern. So habe ich es auch über zwanzig Jahre gehalten. Ich schuf wie ein Besessener und habe mich die meiste Zeit auch sehr wohl dabei gefühlt. Eine ganze Reihe von Arbeiten sind dabei entstanden, die zu sehen, zu hören, mich ihrer zu erinnern, mir heute noch Freude macht, auch wenn ich manches anders machen würde. Ob meine Pädagogik in meinen Schü¬lern was bewirkte, ist schwerer zu sagen, in einigen wohl doch das eine und das andere. Es liegt mir also fern zu behaupten, zielgerichtetes Schaffen wäre sinnlos. Doch habe ich in den letzten Monaten auch die Freuden des Müßigganges entdeckt, ja, selbst manche früher verachteten Spiele verstehe ich heute zu genießen. Ich habe erstaunlicherweise auch nicht das Gefühl dabei, irgend etwas zu versäumen und bin froh darüber.

 

Lob der Expression

Ich kann mit Illusionsmalerei nichts mehr anfangen. Unter diesem Begriff verstehe ich jene Bilder, die mit Pinsel und Farbe versuchen den Augenschein von irgendwelchen Dingen zu imitieren.

Es ist ein müßiges Unterfangen, zumal in Zeiten, die auf technischem Wege jeden Schein speichern und wiedergeben können. Sicher, der mit dem Pinsel oder der Spraydose Abbildende kann durch überraschende Kompositionen von üblicherweise nicht verbundenen Dingen surreale Effekte erzielen, auch ich habe bis vor kurzem so gearbeitet. Heute will ich die Dinge nicht mehr so abbilden, wie sie dem Auge erscheinen, sondern wie ich sie in meinem Herzen empfinde, expressiv also.

Auch von allem Beiwerk möchte ich meine Bilder freihalten, mich nie mehr in der Gestaltung eines Hintergrundes erschöpfen, nie mehr ein Bild bis zum Rand vollmalen, nur weil manche Leute es erst dann für vollendet halten. Die Malerei muss flacher werden, um Tiefe zu gewinnen!

 

Krücke Sprache

Schreiben setzt Denken voraus. Keine höhere Kunst gibt es als dumpfes Fühlen, Bilder, komplexe Erinnerungen, Ahnungen - in vermittelbare Sprache zu verwandeln. Und doch ist auch diese - trotz aller Großartigkeit - nicht weniger eine Krücke wie ein Pinsel.

 

Kontemplative Kunst

Die Welt zu betrachten und sich ihrer Belebtheit zu erfreuen, scheint mir sinnvoller zu sein, als mit Ameisenfleiß immer neue Unzulänglichkeiten zu produzieren. Ich habe lange gebraucht dies zu begreifen, denn ich war in der Vorstellung gefangen, ich müsste und könnte mit meinem Tun die Welt besser machen.

 

 

Werke wachsen in den Pausen

Gern trete ich zurück, das wachsende Werk zu betrachten. Ich mache das oft, um Abstand zu bekom¬men, auch um die Arbeit zu genießen. Beim Betrachten male ich im Kopf bereits weiter, plane, verwerfe. Hier passiert die eigentliche Kunst. Die Hände sind nur dienendes Werkzeug, sie hinken dem Kopf weit hinterher. Doch manchmal regen sie ihn auch an, durch ihre zufälligen Produkte.

Werkorientiertheit

Wenig bedeutet dem Künstler sein Werkzeug, sein Interesse gilt alleine dem Werk.

Diese Zielbesessenheit und die Geringschätzung der Mittel dazu unterscheidet ihn vom Kunsthandwerker, der sein Werkzeug pflegt und in Ehren hält.

 

Aufgabe des Künstlers

Die Aufgabe eines Künstlers sehe ich darin Dinge, Beziehungen und Hintergründe erkennbar zu machen, die nicht so ohne weiteres sichtbar sind, Einzelheiten aufzuzeigen, wenn alle auf die großen Abläufe starren, auf das Ganze zu verweisen, wenn alle nur das Einzelne sehen, auch das Unvorstellbare dem Gefühl begreifbar zu machen. Dazu ist Empfindlichkeit und Phantasie erforderlich, die Kopfmenschen kaum entwickelt haben. Wer also, außer der Künstler sollte dies sonst leisten können?

Deshalb mag ich auch keine Kunst, die nur abbildet und das sowieso jedem Sichtbare nachäfft.

 

Über das moderne Theater

könnte ich lange lamentieren. Nimmt ein Regisseur einen alten Stoff und interpretiert ihn auf eine neue und von mir aus auch verrückte Weise; ich habe nichts dagegen und freue mich über Witz und Originalität. Anders, wenn einer alten Stoff anpreist, ihm aber tatsächlich allen sprachlichen Geist raubt und alleine um die Handlung ein Feuerwerk an Kuriositäten abbrennt. Und bei aller Vielfalt finden sich beinah immer die selben Strickmuster, nicht anders als bei dem Mist, der über unsere Bildschirme flackert, ein Nackter muss mindestens vorkommen, eine Perversion muss in mindestens einer Szene dabei sein, ebenso Blut, irgendeine Unappetitlichkeit und einmal muss es verbal ordinär zugehen, das ist modern! Offenbar erwarten die Zuschauer solche vulgären Provokationen, Pfeffer für die Bildungsbürger? Es ist die berechnende Absicht¬lichkeit dieses Tuns, die mir nicht gefällt. Und selten- man mag über mich lachen - verlasse ich ein Theater, ohne dass mir die Schauspieler erbarmen, denn was man ihnen manchmal zu tun zumutet, verstößt meinem Gefühl nach gegen die Menschenwürde, kein Tier ließe freiwillig mit sich derartiges machen. Sicher, die Mimen könnten ja kündigen oder sich verweigern, doch ist es für die meisten auch folgsam schon schwer genug sich zu nähren. Und wer kann schon die Bühne mit einer Werkbank vertauschen?

 

Selbsterkenntnis

Warum ich auf der Gitarre so ein Minimalist bin und verglichen mit großen Virtuosen ein Dilletant? War es Faulheit, die weitergehende Entwicklungen verhinderte oder einfach nur mangelndes Talent? Möglich. Darüber kann ich selber schlecht urteilen. Was ich aber weiß, ist meine schon frühe Abneigung musikalischer Zuckerbäckerei und dem Unwohlsein bei allem Imitieren. Gewiß, ich habe auch imitiert, habe musikalische Phrasen übernommen, doch sie waren nur das Tablett quasi, um darauf eigenes zu servieren. Ich bin mir sicher- wäre ich ein großer Musiker, wäre ich nicht der, der ich heute bin.

 

Technomusik,

das war Maschinenrhythmus, gleichförmig, geist- und textlos. Doch zeugte vielleicht gerade das Letztere doch von Geist, denn diese Musik spiegelte eine Zeit, in der alles gesagt war, in der man nichts mehr hören wollte, keine Heilsbotschaften, Dogmen, Belehrungen, keinen Small-Talk, keinen tiefsinnigen Worte. Dann gab es da noch Rape und Hipp-Hopp, die auch auf Melodien und Harmoniefolgen verzichteten- die man auch nicht mehr hören wollte, dafür ging man mit Sprache sehr inflationär um, in die von Texten überquellenden Sprechgesänge war keine Wortverbindung zu banal um sie nicht vortragen zu können, talentierte Singsprecher hätten durchaus erfolgreich das Telefonbuch vortragen können. Das Positive war aber, dass man sich von formellen Textzwängen befreite, in der ungereimten Prosa Klartext sprechen konnte, was wohl von einigen Gruppen auch gemacht wurde. An mir, ich muss es gestehen, liefen diese Stilarten weitgehend vorbei. Ich machte selber meine eigene Entwicklung durch, hin zum wortarmen doch nicht immer sinnlosen rhythmischen Singsang.

 

Die künstlerische Arbeit war mir nie Handwerk

Meinem Gefühl nach war eigentlich immer jedes Lied, das ich schrieb, jedes Bild, das ich malte, mein letztes. Die künstlerische Arbeit war mir nie ein Handwerk, das mir sicher die Tage füllte, sondern mehr eine unberechenbare Sache. Niemals habe ich mich mit dem Vorsatz hingesetzt, nun irgendeine "Kunst" zu produzieren. Die Themen haben eher mich produziert, mich zu ihrem Werkzeug gemacht. So fürchte ich ein wenig, dass mir irgendwann dieser so launische Antrieb auf Dauer ausbleiben wird, denn ausgeblieben ist er schon immer mal, um dann urplötzlich wieder zurück zu kehren. Diese Rückkehr verlangt aber eine grundlegende Bereitschaft zur Erregung, egal ob freudig oder besorgt. Ich ahne, dass dies einmal nachlassen und auch mancher Sporn in der Seite seine antreibende Wirkung verlieren wird, etwa das Lob der Umgebung, oder Kampfwut und - mut, die einem die Verantwortung für Kinder schenkt. Und es verliert sich das Entscheidendste, das jedes künstlerische Schaffen braucht, das gehörige Maß an Einfalt, der Glaube und die Hoffnung, dass mit Worten, Tönen und Bildern ein positiver Steuereffekt möglich ist, dass es auch für andere irgendeine Bedeutung hat, dass man etwas schafft. Am ehesten hält sich die Fähigkeit zum Spielen und die Freude am Gestalten, so man sie einmal entwickelt hat. 

 

20.11.86 Trivialisieren durch Gitarren

LB an das "Natur"-Magazin zum Interview mit Günther Anders

Ich habe die "Antiqiertheit des Menschen" gelesen und schätze Günther Anders außerordentlich. Seiner pauschalen Geringschätzung von Liedern bei Demonstrationen möchte ich aber doch widersprechen. Auch ich mag kein vorwitziges Kulturprogramm am Bauzaun in Wackersdorf hören, kriege Gänsehaut bei vielem was sich "Kleinkunst" nennt, fluche, wenn mit Liedern Demonstranten unterhalten werden, wenn der Sinn des Zusammenrottens zersungen wird. Und doch gibt es Lieder, die mehr die Hirne und Herzen der Menschen bewegen, als zehn Philosophen in hundert Jahren zusammen. Ich glaube, das Günther Anders da über etwas urteilt, daß er nicht kennengelernt hat oder daß er als Denker nicht braucht. Doch in aller Regel bringen nicht Politiker und Wissenschaftler junge Leute zum Nachdenken, sondern die Künstler, die nicht nur die Botschaft, sondern auch den passenden Schlüssel für sie haben. Dies als "emotionalen Schwachsinn" zu bezeichnen, ist eine unerhörte Geringschätzung von Gefühlen. Mit dem Spott auf die "drei Akkorde" ist es gradso. Die genialsten Weisen sind einfach aufgebaut, die Zahl der Akkorde als Maßstab für gute Musik zu nehmen, nenne ich Schwachsinn. Alle gute Volksmusik aller Kulturen ist genial einfach, man denke dabei z. B. an den menschenergreifenden Blues.

 

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