Monolog mit
Fritz Nietzsche
Geiss Haejm/ 2000
copyright: baam edition zwiesel
Lieber Friedrich Nietzsche!
Ich habe mich dir langsam angenähert,
mit 40 Jahren erst, zufällig MA erworben und deine Aphorismen so gelesen,
wie ich selber immer gerne gehört und gelesen sein wollte- nur ein,
zwei Gedanken pro Tag. MA hat mich so über ein Jahrzehnt begleitet und
war mir immer ein intellektueller Leckerbissen. Durch dich angeregt habe
ich dann Schopenhauers Parerga und Paralipomena, gelesen, ja verschlungen
in einem Sommer! Bis mir - erstaunlich spät - sein tiefer Pessimismus
bewusst wurde, der mich erschütterte und durch den sich mir ein
sympathischer Weiser - wieder einmal! - als Narr entpuppte. Und bei dir erging
es mir ähnlich, nur war der Zeitraum so groß, dass ich mich an
deine Sprache und deine Gedanken bereits so gewöhnt hatte, dass ich
mir für dich hundert Entschuldigungen ausdachte, weil ich dich nicht
mehr lassen konnte. Dich kann man nicht einfach weglegen und zu jemandem
anderen wechseln...
Ich bin also erst spät mit deinen
späten Schriften in Berührung gekommen. Der Zarathustra hat mich
bis heute immer noch kaum erreicht, auch wenn ich behaupten kann, mehr als
sechs Sätze verstanden zu haben, was mich ja in deinen Augen ja
wohl über die Maßen auszeichnet... Dann habe ich deine "Genealogie
der Moral" gelesen., die "Götzendämmerung", den "Ecco Homo", den
"Antichrist". Was habe ich dich verflucht, für deinen Irrsinn - die
Begründung dieses Urteils soll in dieser Schrift mein Hauptanliegen
sein. Nun wusste ich also, daß dein Zarathustra kein Versehen war,
sondern du wirklich so ein hochmütiger, menschenfeindlicher Fatzke bist
und Massenmörder Hitler sehr wohl zu deinen Kindern zählt; auch
wenn Du Deutschtümelei und die Judenfresserei gehasst hast. Aber Sätze
wie: "Die Schwachen und Mißratenen sollen zugrunde gehen: erster Satz
unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen", darf ein Mann
mit Verstand nicht schreiben, auch wenn Du sie ganz anders gemeint haben
solltest. Auch Deine Verehrung der Junker und der feudalen Gesellschaftsordnung,
ja sogar des Kastenwesens, sind eigentlich Grund genug, Dich überhaupt
nicht zu lesen. Kotzübel wird mir aber, wenn ich lese, wie du den alten
Sokrates verspottest, weil er "Pöbel" war und hässlich und
deine schwachsinnigen Theorien zu den Ursachen von Hässlichkeit. Den
Kopf kann ich auch nur schütteln über deine Widersprüche,
wenn du Sokrates Dialektik denunzierst. Ist dir eigentlich nie in den Sinn
gekommen, dass du über weitere Strecken nichts anderes machst? Noch
mal zur Hässlichkeit. Ich habe in der Chronik gelesen, wie du einmal
Frauen im Zug als Missgeburten bezeichnet hast und an noch eine Stelle
erinnere ich mich, ohne sie nennen zu können, wo die ähnlich
menschenverachtende Sprüche von dir gibst. Aber natürlich, Moral
bedeutet dir nichts, wenn du als Schreibtischtäter geiferst. Warum warst
du dann im Alltag so freundlich zu den Menschen? Ist das Feigheit oder einfach
nur falsches Theater?
Doch will ich aufhören zu spucken und
zu schäumen - denn das wird dich sicher überhaupt nicht beeindrucken
- und dir nun mit dem Verstand widersprechen. Gleich zu Beginn will ich dir
einen deiner Hauptwidersprüche um die Ohren hauen: Nur die Not macht
wendig und damit hast du recht. Wie käme der Satte dazu zu lernen, zu
forschen, zu probieren, zu machen und zu kämpfen? Und weil dies so ist,
kann dein "Übermensch" nicht aus der Schicht der Nichtstuer und Parasiten
hervorgehen, sondern nur aus dem "Pöbel" - also aus der Menschenschicht,
die es nötig hat wendig zu sein. Ausgerechnet Du, der die Priester zurecht
Parasiten heißt, ist blind wie ein Maulwurf, wenn es um die Parasiten
der Herrschenden geht. Du, der Du doch sonst alles auf seine Wurzeln
zurückverfolgst, solltest eigentlich auch wissen, wie der Adel zu seiner
Macht gekommen ist und wie degeneriert seine nichtsnutzigen Nachfahren geworden
sind.
Überhaupt - Deine Hingezogenheit zu
den Reichen, zur Etikette, zu den sogenannten guten Umgangsformen! Wie kann
ein freier Geist wie Du, der alle Werte umkehrte in formellen Dingen so ein
Spießer sein und das ganze oberflächliche Rollenspiel und das
ganze alberne Theater und die ganze Maskerade der feinen Gesellschaft so
unkritisch mitspielen und gutheißen?
Dein "Übermensch" - was für ein
unglücklicher Begriff! - ist einer, wenn ich dich recht verstehe, der
die ganzen kulturellen und zivilisatorischen Beschränktheiten
überwunden hat und seine Kraft wieder aus dem Egoismus schöpft
und eigentlich wieder beim bewährten Prinzip der Natur, als beim Tier
ist. Ich will das gar nicht geringschätzen, aber dann hätte man
das Ganze wirklich einfacher sagen können und auf die ganzen
Übermenschenphrasen verzichten.
Deine Ausführungen beim "Antichrist"
finde ich geistvoll und richtig, alleine die Geringschätzung des Mitleids,
also dessen, wo sich der Mensch entwicklungsmäßig am weitesten
vom animalischen Prinzip wegentwickelt hat, mag ich überhaupt nicht
billigen, eben so wenig die Lobpreisung des Starken und die Geringschätzung
des Schwachen. Du selbst bist mir hier das Beispiel, denn du warst in deinem
bewußten Leben - von kurzen Phasen abgesehen - ein Kranker und
ein Müssiggänger, ein Dekadent im Quadrat, von den elf geistig
behinderten Jahren gar nicht zu reden. Begreife: Deine geistige Stärke
ist aus deiner Schwäche gewachsen! Wärst du gesund gewesen
hättest du gelebt und genossen und nicht gegrübelt und dir den
Schädel zermartert. Überhaupt ist das sowieso die Regel,
Höchstleistungen aller Art werden nur von Menschen gebracht, die irgendein
Defizit damit ausgleichen. Du hättest es doch eigentlich wissen
müssen, nachdem du Lichtenberg so verehrt hast, der alles andere als
ein Titan oder Adonis war.
In Deiner Kritik des Christentums und dem
Hinweis auf dessen Verwandtschaft mit Sozialismus und Anarchismus hast Du
recht, bei allen finden sich Ressentiments als Antrieb und Wurzel. Und wenn
ich den "Antichrist" lese, dann stimme ich beim Allermeisten zu, doch heute,
etwa 125 Jahre später, gibt es das Christentum noch immer und deine
Schrift hatte nicht die Sprengkraft, die Du ihr beigemessen hast. Es ist
eine Schande, dass es nach Schopenhauer und vor allem nach Dir, noch immer
dieses verlogene religiöse Theater gibt, ja in manchen Gegenden dieser
Erde das Mittelalter wiedergekehrt ist.
Doch in den wirtschaftlich führenden
Nationen sind die Priester zu reinen Zeremonienmeistern verkommen, kein Mensch
zittert mehr vor ihnen und es wird nicht mehr lange dauern, dann werden die
Götter der Religionen vollständig von den neuen Göttern
verdrängt worden sein: von den Göttern des Geldes, des Materialismus,
des Kommerzes.
Und hier muss ich anmerken, dass es mit
deiner Weitsicht nicht so weit her gewesen ist und du dich denn wirklichen
Anliegen und Gefährdungen kaum oder gar nicht gewidmet hast. Aber dein
Kopf war gefüllt mit alten Griechen und Protestantismus und trotz aller
martialischer Sprüche bist du vom Idealismus nicht losgekommen und bist
im Grunde ein Bildungsphilister geblieben! Trotzdem du im Zeitalter der
Industrialisierung gelebt hast, kommen dessen Menschen- und Natur
zerstörende Folgen überhaupt nicht vor bei Dir. Du hast dich von
deiner langweiligen Berufsarbeit in Krankheiten geflüchtet (was ich
dir gut nachsehen kann) und bist durch die artigste Geografie gereist, den
Kopf immer in Büchern oder über den Wolken. Die Lebenswirklichkeit
der Menschen interessierte dich nicht. Du warst ein Egoist, wie es wenige
Parallelen geben wird und deine Philosophie ist entsprechend. Und doch sollst
du ein freundlicher Mensch gewesen sein und höflich auch zu kleinen
Leuten.
Deinen Wert sehe ich darin, dass sich in
deinen Werken so viele Denkanstösse finden, dass du die Überzeugungen
entzaubert hast und viel scheinheilige Moral, dass dein Zarathustra keinen
Gehorsam fordert, sondern eigenes Denken, und dass Du den lebenserhaltenden
Egoismus rehabilitiert und den sozialem, verlogenen Getue von Christen und
Sozialisten die Larve gelüftet hast, dies ist vielleicht deine
größte Tat. Und doch, du hast es übertrieben: Mitmenschlichkeit
und die Fähigkeit mit anderen zu fühlen, also auch mitzuleiden,
gehört zu den seltensten und gewichtigsten menschlichen Eigenschaften.
Heute ist, wer dies wirklich kann, ein Ausnahmemensch, ein "Übermensch"
gar. Wir sollten zusehen, dass diese Dinge Schule machen und normal werden,
damit wir endlich auch deinen unglücklichen Begriff vergessen
können...
Deine Sprache und deine Schreibweise sind
exzellent, deine psychologischen Fähigkeiten ebenso, doch das weißt
du ja selber, auch wenn du - wie Tucholsky sehr schön bemerkte
- quasi mit einem ziemlich übertrieben bunten Spazierstock in hohen
Bergen herumspaziertest (deine Nachahmer stolzieren damit in den Ebenen
herum...)
Natürlich weiß ich, alter Nietzsche
auf der Wolke, dass Dir mein Tonfall und meine Vertraulichkeit schwer missfallen
und Du die Nase fein wegdrehst, so wie du es schon auf Erden mit allem gemacht
hast, was Dir nicht gefiel und Du dieses Verhalten für distinguiert
hieltest. Mag es so sein oder nicht, ich kann es nicht ändern. |