1987 Über das Bauen/ Hirnbatzl für das Magazin Lichtung

Im Urlaub hält uns kaum etwas in unseren modernen Städten. Neben Sonne, Berge und Meer sind es die alten Mauern, die uns locken. Was ist es doch für eine Wohltat für die Augen, durch alte Dörfer und Städte zu schlendern! Kein Haus ist wie ein zweites, keine Fassade, kein Dach, kein Giebel, kein Tor findet man mehrfach. Die Häuser sind ineinander verwachsen - hoch, niedrig, schmal, breit, die Mauern oft schief und asymetrisch, der Putz unregelmäßig - eine gerade Linie wäre in dieser Umgebung ein Fremdkörper. Oft schon Jahrhunderte alt, sind die Gebäude stabil wie eh und je, wenn nicht irgendwo Wasser an tragendes Holz kam, dies ohne Stahlbeton und giftigen Holzschutz (doch dies nur nebenbei).

Die Baumaterialien sind immer typisch für die Gegend - Holz, Natursteine, gebrannter Lehm. Überall spürt man den Menschen: in den Mauern diejenigen, die sie aufeinanderschichteten, in den Balken die Zimmerleute, in den Türen und Fenstern die Schreiner, und im unregelmäßigen Pflaster der Menschen Schritte. Alles hat menschliches Maß. Obwohl gleichfalls künstlich, wirken die alten Siedlungen unendlich organischer wie unsere heutigen. Wie in der Natur ist alles verschieden und einmalig.

Unsere modernen Baustoffe dagegen sind überall im Handel erhältlich, die Kraft der Machinen und die Baumode schaffen sie überall hin. Ja, Häuser sind heute ebenso der Mode unterworfen wie alles andere, womit sich Geld verdienen läßt. Ist heute dieses "in", ist es morgen jenes. Mit verbundenen Augen in ein Neubaugebiet gestellt, könnte man, nach Entfernen der Binde, nicht sagen, ob man in einem Vorort Münchens, Hamburgs oder Zwinsings steht. Ich bedauere diese Gleichmacherei und Charakterlosigkeit.

Sicher gibt es auch gute Beispiele, vor allem Akademiker bauen neuerdings Häuser mit viel Naturmaterialien und gediegenen Details. Weniger Geldige mit kalten Häusern aus den sechziger und siebziger Jahren bringen gerne pseudorustikale Accessoires an die Fassaden (vor allem in ostbayerischen Fremdenverkehrsgebieten, es ist zum Weinen!), wobei Wagenräder, klotzige Fertigbalkone und funktionslose Fensterlädenattrappen alpenländische Gemütlichkeit suggerieren sollen. Und immer noch versteckt man guten Putz hinter Fassadenplatten aus Kunststoff, um nicht altmodisch oder ärmlich zu wirken.

Auch wenn ich gerne in manchem alten Haus wohnen und die alten Gebäude restauriert und belebt sehen möchte, fände ich es falsch, sie beim Neubau zu imitieren. Was wir aber von ihnen lernen sollten, wäre das erwähnte menschliche Maß, der Verzicht auf modischen Firlefanz, das Besinnen auf die heimischen Baumaterialien und das Bestreben ein unverwechselbares Haus zu bauen, das unseren individuellen Ansprüchen genügt. Das würde bedeuten, daß man sich nicht mehr ein Haus aus einem Katalog aussucht oder einen fertigen Plan von irgendjemandem übernimmt. Wer bauen will, sollte sich sein Haus in den Grundzügen, nach seinen Bedürfnissen, selber planen und erst danach zu einem Architekten gehen und sich beraten lassen. Von Vorteil wäre es auch, den Grundaufbau so flexibel zu gestalten, daß es auch noch die Enkel für ihre veränderten Bedürfnisse umgestalten können.

Überhaupt- viele werden entsetzt zusammenzucken- fordere ich Freiheit beim Bauen von Wohnhäusern! Ein Haus ist quasi unsere dritte Haut, und wie diese auszusehen hat, geht keine Behörde etwas an. Diese sollten weiter bei der Statik mitreden, beim Abwasser und bei den Feuerungsanlagen, ansonsten sollten sie sich auf Beratung beschränken. Damit keine Mißverständnisse entstehen: ich meine Wohnhäuser, die sich Menschen bauen um in ihnen zu leben. Auf keinen Fall meine ich Wohnblöcke, die einer für andere baut, meine nicht Gewerbe- und Industriebauten, die heute an Häßlichkeit kaum zu überbieten sind, meine nicht den Bau von Kraftwerken, Flughäfen, Kasernen und landschaftsfressenden Tiefbauten. Im Gegenteil, hier gehören die Vorgaben verschärft. Doch heute scheint es gerade umgekehrt zu sein: je größer ein Bauvorhaben und je potenter der Bauherr, um so kleiner erscheinen die Probleme mit der Genehmigung. Wäre es anders, würde unser Land nicht so heillos verbetoniert und unendlich häßlich und langweilig sein. Bei den Wohnbauten des kleinen Mannes läßt sich dagegen leichter dreinreden: von der Dachneigung bis zu den Fenstern wird ihm alles vorgeschrieben. Was dabei herauskommt ist allenthalben zu sehen: Uniformiertes, langweilig, gleich und kleinkariert.

Ich bestreite nicht, daß die Bebauungspläne erlassenden Kommunen, die einschlägigen Gesetze und diejenigen, die sie anwenden wollen, das Beste wollen, leider aber keine Individualität. Und der Spießergeschmack der meisten Bauherren will das ebensowenig. Self-made-Häuser, wie in den USA, sind den einen wie den anderen eine Horrorvorstellung. Alte Städte sind eben nur etwas für den Urlaub, zu Hause regiert weiter das Lineal.

Wer uniformierte Langeweile individueller Abwechslung vorzieht, dem läuft bei meinen Vorschlägen wohl zurecht die Gänsehaut. Doch schlimmer, wie heute, könnte es gar nicht werden! Und ganz auf Einschränkungen würde auch ich nicht verzichten, etwa die Vorgabe, daß keine Nachbarn geschädigt werden dürfen. Wenn man dann noch die Verwendung heimischer Baumaterialien vorschreiben würde und die Teilnahme an sachkundig machenden Kursen und Exkursionen für Häuslebauer, dürfte nicht mehr viel schiefgehen. Gelegentliche Auswüchse würden auch nicht schaden, denn diese wären unbezahlbar lehrreich...

Vielleicht würden dann unsere Dörfer und Städte wieder zum Spazierengehen einladen, so wie die alten Vorbilder...