Was soll ich in Los Angeles?

Opus 505/ 1999

 

Nein, es reizt mich nicht in die großen Städte dieser Welt zu reisen. Nichts gibt es, was ich nicht auch zu Hause haben könnte. Die Menschen in den Flugzeu­gen, die mir den Himmel über meiner Ziegenweide mit stän­digem Gewittergrollen füllen, sind moderne Flüchtlin­ge, Getriebene, über deren Atmosphäre zerstörenden Egoismus ich zwar fluche, die mir aber doch auch sehr leid tun. Aber auch ein wenig Glück schenken, Glück, das aus der Erleichterung stammt, dass ich nicht in dem Flugzeug sitzen muss.

 

Was soll ich in Los Angeles?

Die ruhigen Nischen würde ich dort nicht finden.

Ich würde durch eine laute Stadt irren

und die Werbung würde mir die Birne zuknallen,

meine Waden würden schmerzen

vom harten Teer und vom Pflastertreten,

grad so, wie es mir immer geht,

in den großen Städten.

 

Was soll ich New York?

Um im Schatten von Bäumen zu sitzen

brauche ich nicht den Central Park.

Und ich glaube nicht, dass ich

neue Weisheiten finden würde,

in den Paperbacks am Kiosk

und keine in den Wühlkisten.

 

Was soll ich am Kuhdamm?

In jungen Jahren bin ich oft genug

an ihm entlanggelatscht und es war

sicher mit die verlorenste Zeit meines Lebens.

Ich brauche keine protzigen Konsumtempel

und Hummer aus der Karibik

esse ich nicht, und auch sonst keine

lukullischen Schweinerein.

 

Was soll ich in Sankt Pauli?

Als ich vor langer Zeit einmal vom Michel schaute

habe ich alles gesehen, und

die Huren in der Herbertsstraße

würde ich niemals kaufen, denn ich alter Träumer will beim Sex ein wenig verliebt sein.

 

Ich brauche keine großen Bahnhöfe,

keine Flughäfen, keine kalten Hotels.

Schon der Gedanke an Hotelzimmer

lässt mich frösteln. Ach, nichts fällt mir ein,

was mir die große Welt bieten könnte.

 

Alleine alte Mauern und südliche Vegetation

würden mich reizen. Gern würde ich wieder einmal durch Venedig spazieren, oder ägäische Inseln umrunden

oder einen maurischen Basar besuchen.

Auch durch Kreuzberg würde ich

gerne wieder einmal schlendern

und an den alten Türen klingeln und sehen

ob die alten Freunde noch leben.

 

Doch dann denke ich an die Unerfreulichkeiten

einer Reise und hänge lieber meine Hängematte zwischen zwei Bäume in einem freundlichen Wald,

steige hinein und lese neue und alte Bücher.

Und nach einer Weile labe ich mich

an gewohnter Speise, köstlich und einfach,

und wechsle ein paar Worte mit vertrauten Menschen und bin zufrieden.