Von dem, der auszog

Opus 032/ 1972

 

In Kreuzberg erkannte ich, dass so vieles an dieser Zi­vilisation nur Fassade ist, ein aufgeblasener Popanz, ein glänzender Knüppelsteg auf einem ungeheueren Sumpf. Die Unwirtlichkeit der Umgebung öffnete mir meine an kleinbürgerliche Provinz gewöhnten Augen und der Umgang mit kritischen Geistern sorgte dafür, dass sie mir nie mehr zufielen.

 

Ich bin geflüchtet nach Berlin

vor Stahlhelm und Kaserne.

Ach, mein geliebter Wald,

ich hab dich gar so gerne.

 

Nun leb ich auf nem Hinterhof,

irgendwo in der Ohlauer Straße.

Kein bißchen Sonne, alles grau,

hock mit gesenkter Nase.

 

Mein Zimmer ist kahl und kalt.

Nein, hier werd ich nicht alt!

Kein Bad, das Clo im Treppenhaus

und immer sitzt ein Fremder drauf!

 

Für Fünfmarkdreißig Stundenlohn

verkauf ich mich jeden Tag.

Ich blase kleine Glühlämpchen,

was für eine Plag!

 

Zum Glück hab ich gute Freunde,

wir reden bis tief in die Nacht.

Von Gott und der Welt, gelegentlich,

haben wir auch schon gelacht.

 

Für sie bin ich ein bayrischer Prolet,

einer zwar mit Haken und Ösen.

Sie klären mich auf, wo es grad geht,

ich spür,  sie wolln mich erlösen.

 

Sie schleppten mich mit zu den Spartakisten,

ich konnte die Klappe nicht halten.

Die poltische Ökonomie fand ich fad

und umständlich Marx, den Alten.

 

Ich lernte zu sehen meine Verführer,

im Auftrag der Bourgeoisie.

Und lernte viele fremde Wörter

aus Politik und Psychologie.

 

Ich lernte zu wenden meinen Blick,

schon ein paar Grad haben gereicht,

und Buntes wurd mir mit einem Mal grau,

und Tiefes wurde mir seicht.

 

Ich lernte zu sehen das Unsichtbare,

lernte, nicht ohne Behagen.

Das Bekannte wurde mir unbekannt,

mein Kopf war voller Fragen.

 

Ich las in jeder freien Minute,

hab mich durch Bücher gewühlt,

und immer wieder fand ich geschrieben,

was ich zuvor nur gefühlt.

 

Meine Tage warn krass geteilt:

Glühlampenblasen bis Vier.

Und abends philosophiern,

bei Schmalzstullen und Bier.

 

Und dazwischen Theater,

freche Lieder, Kabarett.

Tucholski, Brecht und Ibsen,

machten mein´ Umbruch komplett.

 

Die Welt war mir nicht mehr die Alte,

ach, was war ich früher naiv!

Ein frischer Luftzug verwehte

kleinbürgerlichen Mief.

 

Und klein wurden mir die Helden,

was Stein schien, wurd zu Sand.

Ich ordnete neu meine Werte

und in Gedanken durchbrach ich jede Wand.

 

Und ab und zu nahm ich meine Klampfe,

stieg selbst auf ein Podium.

Im Steve-Club und im Go-In,

fand ich freundliches Publikum.

 

Und in der Arbeit sah ich den Schlüssel,

zum glücklichen Leben, zum Sinn.

Ich verließ die Lampenfabrik,

entschloß mich zu neuem Beginn.

 

Ich wollte was Sinnvolles schaffen,

Leben und Arbeit vereinen,

und mithelfen, dass auf der Welt,

ein paar Menschen weniger weinen.

 

Dann wollt ich Bauer werden,

doch versuch das mal in der Stadt!

Drum werd ich jetzt Kindergärtner,

oder Dichter, oder Pirat!