| pnp 17.5.06
	       
	      Frage des politischen Geschmacks“
	       
	      Wirbel um Wechsel des CDU-Politikers Norbert Röttgen zum BDI
	       
	      Berlin. Sinnvoller Austausch zwischen Politik und Wirtschaft oder ein weiterer
	      Fall von Vetternwirtschaft? Der Wechsel von Norbert Röttgen, dem
	      Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion und engen
	      Vertrauten von Bundeskanzlerin Angela Merkel, in die Führungsetage der
	      deutschen Industrie, ist gestern im Parlament auf Kritik gestoßen.
	      Zumal der 40-jährige Jurist, der in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
	      die Fäden zieht und auch für den Posten des Kanzleramtsministers
	      in der engeren Wahl war, sein Bundestagsmandat behalten will, wenn er 2007
	      Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie
	      (BDI) wird.
	       
	      Während Röttgen selbst mehr Austausch zwischen Parteipolitik und
	      Wirtschaft fordert, wittert man in den Reihen der Opposition bereits "ein
	      politisches Geschmäckle“. Der Merkel-Vertraute als hochdotierter
	      verlängerter Arm der Industrie ins Kanzleramt? Für
	      CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer ist der Fall "eine Frage des politisch
	      guten Geschmacks“. Röttgen ist kein Einzelfall. Für den Wechsel
	      von der Politik in die Wirtschaft gibt es viele Beispiele. Helmut Kohl hatte
	      nach seiner Kanzlerzeit als einfacher CDU-Bundestagsabgeordneter dem
	      Bundestagspräsidenten einen über 600 000 Mark dotierten Beratervertrag
	      mit Medienmogul Leo Kirch nicht gemeldet. Bayerns früherer
	      Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU) wechselte in die Unternehmensführung
	      der Deutschen Bahn, nachdem er in den Koalitionsverhandlungen noch für
	      die Verkehrspolitik zuständig gewesen war. Zahlreiche Bundestagsabgeordnete
	      haben neben dem Mandat noch einen Nebenjob, der aber beim
	      Bundestagspräsidenten angemeldet werden muss. Als Wirtschaftsvertreter
	      ist CDU-Mann Röttgen in seiner Fraktion in guter Gesellschaft: MdB Reinhard
	      Göhner ist im Nebenberuf Hauptgeschäftsführer der
	      Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. Geschätztes Jahreseinkommen:
	      130 000 Euro. Eine Höhe, in der sich auch das Honorar für
	      Röttgens künftigen Nebenjob bewegen dürfte.  | 
	    pnp Kommentar vom 17.05.2006
	       
	      Eine Frage der Hygiene
	       
	      von Andreas Herholz
	       
	      Nun also auch Norbert Röttgen. Der ambitionierte politische Aufsteiger
	      und enge Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel folgt dem attraktiven
	      Ruf der Wirtschaft und rückt in die Spitze des Bundesverbandes der Deutschen
	      Industrie. (...)
	       
	      Dass Röttgen, wie andere seiner Kollegen, jedoch gleichzeitig auf beiden
	      Ufern tätig sein und seinen Job als Bundestagsabgeordneter weiter
	      ausüben will, verstößt gegen die ungeschriebenen Regeln der
	      politischen Hygiene. Als hochdotierter Cheflobbyist der Industrie wird
	      Röttgen weiter im Bundestag sitzen und weiter ganz nah an der Kanzlerin
	      sein. Nicht sein neuer Beruf, sondern die Abgeordnetentätigkeit wird
	      zum Nebenjob.
	       
	      Die Doppelrolle des CDU-Mannes diskreditiert einmal mehr die Arbeit jener
	      Volksvertreter, die sich mehr um ihr Mandat als um ihre lukrativen Zusatzaufgaben
	      kümmern. Und die Unionsfraktion setzt sich dem Verdacht aus, der
	      verlängerte Arm der Wirtschaft zu werden. Der Fall Röttgen zeigt,
	      dass es höchste Zeit ist für eine grundlegende Debatte über
	      Rechte und Pflichten der politischen Klasse. Natürlich darf es kein
	      Parlament der reinen Berufspolitiker geben. Eine Volksvertretung der Lobbyisten
	      aber auch nicht  |