Studie zur Verteilung des Wohlstands

Soziale Kluft in Deutschland wächst

Reiche besitzen fast zwei Drittel des Volksvermögens / DGB fordert höhere Erbschaftsteuer

München - Die reichsten zehn Prozent der Deutschen besitzen fast zwei Drittel des gesamten Volksvermögens, die ärmste Hälfte dagegen fast nichts. Dies geht aus einer noch unveröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hervor, die die sozialen Gegensätze in Deutschland zeigt.

Die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigt die Sorgen vieler Bürger, dass die Reichen immer reicher werden, während die große Masse gerade über die Runden kommt. Nach den Berechnungen auf Grundlage des Sozioökonomischen Panels (Soep) verfügen die Deutschen über ein Gesamtvermögen von 5,4 Billionen Euro. Hierzu zählen die individuellen Ersparnisse nach Abzug von Schulden, das Wohneigentum, die Rentenansprüche und die Versicherungen. Auch die Sammlungen von Kunstwerken, Münzen oder Briefmarken haben die DIW-Forscher berücksichtigt.

Wäre das Vermögen gleich verteilt, besäße jeder Deutsche Sach- und Geldkapital von etwa 81 000 Euro. Tatsächlich besaßen 2002 mehr als die Hälfte der Bürger über 17 Jahren so gut wie nichts. Sie nutzen ihr gesamtes Einkommen für den Konsum oder die Schuldentilgung. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen dagegen teilen fast zwei Drittel des Volksvermögens unter sich auf.

Dierk Hirschel, Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftsbundes, nennt die Ergebnisse der Studie erstaunlich: "Mit einer solchen Ungleichverteilung hatten wir nicht gerechnet." DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki beklagt, dass die Hälfte der Deutschen gerade genug zum Leben hätte und keine Reserven bilden könne: "Diese Zahlen zeigen: Während eine Minderheit vom goldenen Teller essen kann, leben große Teile der Bevölkerung von der Hand in den Mund."

Die Studie zeigt auch, wie groß die Unterschiede zwischen Ost und West noch immer sind. Das Durchschnittsvermögen eines Westdeutschen ist 2,6 mal höher als das eines Ostdeutschen; Ostdeutsche sind eher verschuldet und besitzen seltener Wohneigentum. Auch Frauen sind benachteiligt. Ihr Kapital ist im Schnitt fast 30 000 Euro niedriger als das von Männern. Besonders gering sind die Ersparnisse von Migranten. Sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern verfügen sie über weniger als die Hälfte des Durchschnittsvermögens.

Das DIW-Gutachten belegt zudem, dass die Wohlhabenden ihr Vermögen auch schneller vermehren, die sozialen Gegensätze in den vergangenen Jahren daher wachsen. So ist der Kapitalanteil am Volkseinkommen in Deutschland von 1996 bis 2006 um vier Prozentpunkte gestiegen und beträgt heute 33,8 Prozent. Mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich folgt die Entwicklung in Deutschland einem weltweiten Trend. Seit den frühen 1990er Jahren sind die Einkommen der Spitzenverdiener auf allen Kontinenten erheblich schneller gestiegen, als die Gehälter von Geringverdienern. Experten des Internationalen Währungsfonds nennen dafür vor allem zwei Gründe: Den technologischen Fortschritt und die Liberalisierung des Welthandels. Spezialisten haben dadurch die Möglichkeit, ihr Wissen noch produktiver einzusetzen, gleichzeitig gibt es immer mehr Niedrigqualifizierte.

Um der Ungleichheit entgegenzuwirken, fordert der DGB, "leistungslose Einkommen" stärker zu besteuern. "Durch Vererbung von Vermögen wird Ungleichheit fortgeschrieben", sagte Hirschel, "und damit auch die Undurchlässigkeit der Gesellschaft, die Kinder aus armen Familien am sozialen Aufstieg hindert." Erbschaften müssten mindestens doppelt so hoch besteuert werden wie heute. "Leider hat die Große Koalition erst am Montag beschlossen, Erben teils erheblich zu entlasten - ein großer Fehler."

Auch Markus Grabka, Autor der DIW-Studie, fordert die Bundesregierung auf, ihre Reform zu revidieren. "Die Freibeträge müssten sinken, nicht - wie jetzt beschlossen - steigen", sagte er. "Mit den zusätzlichen Steuereinnahmen sollte der Staat die Kapitalbildung von Normal- und Niedrigverdienern fördern - ähnlich wie bei der Riester-Rente." Grabka plädiert wie SPD-Chef Kurt Beck für einen Deutschlandfonds, in den Bürger einzahlen könnten, um mit ihren Ersparnissen an der positiven Kapitalmarktentwicklung teilhaben zu können.

Von Moritz Koch

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Nr.256, Mittwoch, den 07. November 2007