Verloren fürs Leben

Noch nie gab es so viele und so billige Sklaven wie heute


Von Michael Bitala


Was es offiziell nicht gibt, kann man auch nicht abschaffen. So einfach sieht man die Sache in Mauretanien, dem Land, in dem es - gemessen an der Einwohnerzahl - die meisten Sklaven der Welt gibt. Der westafrikanische Wüstenstaat hat die Sklaverei 1980 offiziell verboten, dennoch leben heute noch mehrere hunderttausend der knapp drei Millionen Mauretanier in totaler Knechtschaft. Sie betreuen Kinder, putzen und kochen, sie bauen Häuser und hüten Schafe, sie schleppen Wasser und Ziegel, und sie bekommen nichts dafür - nichts, außer einem Platz zum Schlafen und etwas zu essen. Wer versucht zu fliehen, dem drohen Prügel. Der US-Soziologe Kevin Bayles, der die Studie "Die neue Sklaverei" verfasst hat, schreibt: "Im heutigen Mauretanien gibt es keine Sklaverei, doch wohin man auch blickt, an jeder Straßenecke und in jedem Laden, auf allen Feldern und Weideflächen sieht man Sklaven."

Mauretanien ist kein Sonderfall. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO der Vereinten Nationen kommt zu dem Schluss, dass Sklaverei und Sklavenhandel weltweit so verbreitet sind wie nie zuvor. Auf 27 Millionen wird die Zahl der Menschen geschätzt, die in absoluter Knechtschaft leben, die meisten davon in Asien. 80 Prozent sind Frauen, und mehr als 50 Prozent sind jünger als 18 Jahre. Allein in Afrika wechseln jährlich 200 000 Kinder ihre Besitzer, damit diese dann zum Beispiel auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste arbeiten oder in privaten Haushalten in Nigeria, Niger oder im Tschad ausgebeutet werden.

Profitables Geschäft

Die "Handelsware Mensch" gilt heute, 200 Jahre nach Abschaffung des transnationalen Sklavenhandels, als eines der profitabelsten Geschäfte der organisierten Kriminalität, nur mit Waffen und Drogen lässt sich noch mehr verdienen. Der größte Unterschied zu früher aber ist, dass Sklaven noch nie so billig waren. Rechnet man den Preis, den ein Plantagenbesitzer in Alabama um 1850 für einen Leibeigenen bezahlen musste, auf heutige Verhältnisse um, dann kostete dieser 30 000 Euro. Heute sind Sklaven für wenige hundert Euro zu bekommen, afrikanische Kinder werden schon für 20 oder 30 Euro verkauft.

Die Gründe für den stetig wachsenden Sklavenmarkt sind offensichtlich. Die Weltbevölkerung hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg verdreifacht, damit wuchs auch die Zahl potentieller Sklaven. Die wachsende Armut in Entwicklungsländern veranlasst die Eltern dazu, ihre Kinder zu verkaufen - oft mit dem falschen Versprechen der Menschenhändler, die Jungen und Mädchen könnten sich auf den Plantagen, in den Bordellen oder in reichen Familien das Geld für ihre Ausbildung verdienen. Und schließlich sorgen auch Korruption und Gesetzlosigkeit in vielen Staaten dafür, dass nichts gegen den Sklavenhandel unternommen wird. Oft arbeiten korrupte Beamte oder Polizisten mit Menschenhändlern zusammen - zum Beispiel indem sie entlaufene Sklaven wieder einfangen.


Quelle: Süddeutsche Zeitung
März 2007