Der Angstmach-Minister
  Von Heribert Prantl
  
  Deutschland muss sich Sorgen machen um seine innere Sicherheit. Gewiss: Es
  gibt eine gute Polizei; es gibt eine effektive Justiz; es gibt ein Straf-
  und Polizeirecht, das mit einer Vielzahl von Terrorismusbekämpfungsgesetzen
  so massiv aufgerüstet worden ist, dass das höchste Gericht immer
  wieder mäßigend eingreifen musste. Kurz: Es gibt ein wachsames
  System der inneren Sicherheit, welches die rechtsstaatlichen Möglichkeiten
  bis auf den Grund (und manchmal darüber hinaus) ausschöpft. Es
  gibt aber leider einen Bundesinnenminister, dessen zunehmende Maßlosigkeit
  nicht für Sicherheit, sondern für Unsicherheit sorgt. Wolfgang
  Schäuble macht einem Angst.
  
  Der Minister redet so, als könne Deutschland sein Heil nur durch seine
  Verwandlung in einen 007-Staat finden - durch Mutation des Rechtsstaats in
  ein Regime der legalen Extralegalität. Er redet von Besonnenheit und
  praktiziert das Gegenteil; er warnt vor Hysterie, verbreitet sie aber
  höchstselbst; er missbilligt Guantanamo, redet aber so, als sei dringlich
  eine Guantanamoisierung des deutschen Rechtssystems vorzubereiten. In Interviews
  macht er das Grundgesetz zum Abreißkalender. Im jüngsten
  Gespräch mit dem Spiegel übertrumpft er nicht nur seinen
  Vorgänger Otto Schily, sondern sich selbst mit markigen Überlegungen,
  ob man nicht echte oder angebliche Terroristen umbringen solle.
  
  Schäuble will eine Lizenz zum staatlichen Töten. Verbot der
  Todesstrafe? Das ficht ihn nicht an. Es geht ihm ja nicht um "Strafe", sondern
  um Vorbeugung. Er argumentiert so: Bei der gezielten staatliche Tötung
  potentieller Verbrecher handele es sich nur um ein neuen Anwendungsfall des
  sogenannten finalen Todes- oder Rettungsschusses. Die Polizei ist bei
  Banküberfällen ermächtigt, den Räuber, der eine Geisel
  gepackt hat, zu erschießen, wenn deren Rettung anders nicht möglich
  ist. Schäuble generalisiert und verabsolutiert diese absolute
  Ausnahmevorschrift, die in offensichtlicher höchster Gefährdung
  eines Opfers ein Anwendungsfall der Nothilfe ist. Mit den
  Begründungsmustern, zu denen Schäuble dabei greift, kann er auch
  die Folter in den Ticking-bomb-Fällen rechtfertigen.
  
  Personen, die Schäuble für gefährlich hält, die aber
  keine Straftat begangen haben, will er jedwede Telekommunikation untersagen
  - und diese "Gefährder" internieren. Er tut dabei wiederum so, als sei
  das nur eine kleine Fortentwicklung des polizeirechtlichen
  Unterbindungsgewahrsams, der dazu berechtigt, gewaltbereite Hooligans vor
  einschlägigen Fußballspielen ein paar Tage einzusperren. In den
  Fällen, an die Schäuble denkt, geht es aber nicht um Tage, sondern
  um Monate oder Jahre - er will ja nicht eine unmittelbar bevorstehende Straftat
  durch Verhaftung unterbinden, sondern einer allgemeinen Gefahr begegnen.
  Das Grundgesetz schreibt allerdings vor, dass bei Freiheitsentziehung
  "unverzüglich" ein Richter entscheiden muss. Die Polizei darf niemanden
  länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in Gewahrsam halten.
  Will Schäuble diese rechtsstaatliche Grundregel abschaffen? Wenn nicht
  - nach welchen Kriterien soll ein Richter die allgemeine "Gefährlichkeit"
  eines Menschen beurteilen, um ihn dann deswegen für lange Zeit hinter
  Gitter zu bringen? Soll der neue Straftatbestand der "Verschwörung",
  den Schäuble einführen will, die Krücke dafür sein, nach
  dem Motto: Verschwörer ist jeder, der staatsfeindlich denkt, redet oder
  handelt, wenn dieses Denken, Reden und Handeln anderweitig strafrechtlich
  nicht fassbar ist?
  
  Das alles hat mit freiheitlichem Recht nichts mehr zu tun. Dementsprechend
  fordert Schäuble "die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den
  Terrorismus". Er meint damit offenbar die Freiheit vom Recht, weil er Recht
  als Hindernis versteht. Im Fall Khaled El-Masri wird das schon jetzt
  augenscheinlich: Deutsche Staatsanwälte haben die Festnahme und Auslieferung
  der US-Agenten angeordnet, die den deutschen Staatsbürger el-Masri
  verschleppt und nach Afghanistan entführt haben. Schäuble will
  das Auslieferungsbegehren torpedieren. Recht soll also nur dann gelten, wenn
  es die Amerikaner nicht ärgert und ihrer ungestörten
  Terrorbekämpfung nicht im Wege steht.
  
  Nach dem 11. September 2001 und den darauf folgenden Terroranschlägen
  sind Expertisen erstellt worden, wo und wie Terroristen Unheil anrichten
  und Verderben übers Land bringen könnten; über einen besonderen
  Schutz von Atomkraftwerken und Wasserversorgungsanlagen ist intensiv nachgedacht
  worden. Aber die Terroristen haben etwas anderes, mindestens ebenso
  Gefährliches getan. Sie sind mental in die Schaltzentralen der Macht
  eingedrungen, sie verseuchen das Denken der demokratischen Sicherheitspolitiker,
  sie vergiften das Recht. Schäubles Vorschläge sind Ergebnis dieser
  Vergiftung: Rechtsstaatliche Fundamentalgewissheiten werden aus Angst vor
  dem Terror in Frage gestellt.
  
  Der Innenminister hat im Strudel der Terrorwarnungen seine
  Souveränität verloren. Er ist kein bedachter Gegner des Terrors
  mehr, sondern dessen Getriebener. Was hilft? Ein Bußschweigen, wenigstens
  einen Sommer lang? Der Innenminister ist zugleich Verfassungsminister. Der
  Titel sollte ihm erst nach Nachweis der Entgiftung wieder zustehen.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.155, Montag, den 09. Juli 2007