23.1.07 Fahren statt essen

Herstellung von Biosprit aus Mais führt zu Tortilla-Krise in Mexiko

Tortilla ist das Nationalgericht Mexikos. Vor allem bei armen Familien kommt der gebackene Maisbrei nahezu jeden Tag auf den Tisch. Daher hat eine Teuerung bei diesem Produkt immer dramatische Auswirkungen. Genau dies geschieht derzeit: In Mexiko-Stadt ist der Preis für das Kilo Tortilla innerhalb von sechs Wochen von 50 auf satte 75 Cent gestiegen. Präsident Felipe Calderon, eigentlich der freien Marktwirtschaft verpflichtet, entschloss sich in der Not, einen Höchstpreis von 60 Cent zu verordnen.

Die Mexikaner spüren auf besonders krasse Weise den Gezeitenwechsel auf den internationalen Märkten für Agrarrohstoffe. Bis vor kurzem lag das Problem darin, dass die Preise zu niedrig waren, wodurch die Bauern in der Dritten Welt in ihrem Elend festgehalten wurden. Jetzt ist es umgekehrt: Alles ist teuer und knapp, was die Menschen in den Metropolen belastet. Mais ist seit Januar 2005 um ungefähr 60 Prozent teurer geworden. Der Preis für ein Scheffel (25 Kilo) stieg am Chicago Board of Trade (CBOT), der wichtigsten Rohstoffbörse der Welt, von 2,50 Dollar auf über vier Dollar, wobei sich der Preisauftrieb in den vergangenen zwei Monaten noch beschleunigt hat. Das hat nach Aussage des CBOT drei Ursachen: Eine Trockenheit in Australien, die die dortige Weizenernte beeinträchtigt, Spekulationen über einen drohenden Ernterückgang in den Vereinigten Staaten - und die wachsende Nachfrage nach Biosprit.

Dieser letzte Punkt macht die Sache politisch brisant. Wie in Europa auch versuchen die Politiker in Amerika den Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energiequellen zu fördern. Die wichtigste dieser Quellen ist dabei Bioalkohol aus Mais. Die Vereinigten Staaten sind mit Abstand der größte Maiserzeuger der Welt, 70 Prozent der Weltexporte kommen von dort, allein der Bundesstaat Iowa produziert mehr als ganz Kanada. Was in den USA passiert, hat daher Auswirkungen auf die ganze Welt. Und hier verschiebt sich die Nachfrage dramatisch. Vor einem Jahr wurden erst elf Prozent der Maisernte zu Biosprit destilliert, in diesem Jahr werden es 20 Prozent sein, im nächsten bereits 31 Prozent. 70 Alkohol-Raffinerien sind derzeit weltweit im Bau.

Wie sehr der Übergang zu erneuerbaren Rohstoffen mit der Tortilla-Krise in Mexiko zu tun hat, darauf hat Lester Brown hingewiesen, der Chef des Earth Policy Institute in Washington. Brown spricht von einer "Essen-für-Autos-Strategie": Wenn die Industrieländer so weitermachten, werde es zu einem "Kampf zwischen den Autofahrern und den Völkern der Welt um das Nahrungsangebot" kommen. "Der Versuch, ein Problem zu lösen, das der wachsenden Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von Ölimporten, schafft so ein viel größeres Problem", sagt Lester Brown. Viel billiger sei es, statt Alkohol-Raffinerien spritsparende Autos zu produzieren.

Das Thema "Essen für Autos" wird sich aber nicht auf die USA und Mexiko beschränken. Auch in Deutschland sehen Forscher die Möglichkeit, sieben Prozent des Benzinverbrauchs durch nachwachsende Rohstoffe zu decken (hier vor allem durch Raps), weltweit dürften es 27 Prozent sein. In einem gewissen Sinne bedeutet die Knappheit an fossilen Rohstoffen damit auch eine Rückkehr zu den Zeiten vor der Industrialisierung. Damals wurde ungefähr ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche für die Mobilität eingesetzt - um Hafer für die Pferde anzubauen. Nikolaus Piper

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Nr.18, Dienstag, den 23. Januar 2007