Die Lust an der Gefahr

Der Dax schlägt alle Rekorde, doch Anleger können bei hohen Kursen auch viel Geld verlieren

Von Martin Reim /SZ)

Was mancher Börsen-Skeptiker kaum glauben mag, hat sich am Freitag in harten Zahlen bestätigt: Aktien gehören, zumindest auf lange Sicht, zu den besten Geldanlagen. Der deutsche Leitindex Dax stieg auf den höchsten Stand seiner Geschichte und hat sich damit seit seinem Start vor knapp 20 Jahren verachtfacht - da kann kaum ein anderes Investment mithalten.

Jetzt wird der eine oder andere, der Aktien bislang meidet, über einen Einstieg nachdenken. Doch Vorsicht: Nur wer über Jahrzehnte plant, darf bei Käufen auf dem jetzigen Kursniveau einigermaßen sicher mit Gewinnen rechnen. Denn es mehren sich die Anzeichen, dass die weltweiten Finanzmärkte überhitzt sind; die Gefahr eines Absturzes wächst.

Wie die Wirtschaftsgeschichte zeigt, sind extreme Schwankungen an der Börse die Regel, nicht die Ausnahme. Zur Jahrtausendwende waren die Notierungen ähnlich hoch wie heute, dann ging es steil nach unten. Manche Papiere haben sich von diesen Abschlägen bis heute nicht erholt. So notiert das Papier der Telekom, Symbol für die damalige Börsenhysterie, bei einem Siebtel des damaligen Höchststandes.

Das Beispiel T-Aktie zeigt auch: Man sollte nicht auf einzelne Titel setzen, sondern seine Investments breit streuen. Zudem ist es nicht ratsam, seine kompletten Ersparnisse in Aktien zu stecken. Das mag banal klingen, doch haben viele Privatanleger zur Jahrtausendwende genau dies nicht beachtet und standen - zumindest zwischenzeitlich - mit leeren Taschen da. In jungen Jahren ist ein eher höherer Aktienanteil am Gesamtvermögen angeraten. Im Laufe des Lebens sollte man die Zugewinne sichern und den Aktienanteil senken. Und im Alter heißt es: Finger weg von Aktien! Ganz einfach, weil Kursverluste in dieser Lebensphase möglicherweise nie mehr aufgeholt werden.

Was könnte nun den nächsten Niedergang an den Börsen auslösen? Allgemein gesagt: wenn die Investoren weniger Risiken eingehen wollen. Zurzeit ist die Lust an der Gefahr groß. Besonders deutlich ist dies bei Unternehmen zu sehen, die ihre Geschäfte mit Öl, Gas und anderen Rohstoffen machen. Ihre Kurse sind extrem gestiegen. Mittlerweile sind manche Konzerne an der Börse so hoch eingeschätzt, dass sie ihre jetzigen Gewinne über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte auf dem gleichen Niveau halten müssten, um die aktuelle Bewertung zu rechtfertigen. Das ist absurd und lässt ein Platzen der Spekulationsblase erwarten.

Ebenso bizarr ist die Lage bei Firmenübernahmen. Eine gigantische Fusion jagt die nächste. Viele dieser Zukäufe können nur durch Kredite gelingen. Wenn ein neugebildeter Konzern nun die immensen Renditeerwartungen verfehlt, hat der Übernehmer ein gewaltiges Problem, und sein Geldgeber auch.

Selbst wenn die Gewinnhoffnungen erfüllt werden, drohen Schwierigkeiten von einer anderen Seite: den Zinsen. Sie klettern schier unaufhaltsam. Somit wachsen die Kreditkosten - unter solch einer Last können Unternehmen auch mal zusammenbrechen. Weiterer Hinweis auf eine Hyper-Spekulation ist die Erfahrung, dass steigende Zinsen schädlich für Börsenkurse sind. Denn immer mehr Anleger werden irgendwann auf die naheliegende Idee kommen, Aktien zu verkaufen und zu Investments mit garantierten Renditen zu greifen.

Dass der nächste Kursabsturz kommt, erscheint naheliegend. Doch ist die langfristige Richtung der Kurse ebenso klar: nach oben. Es ist kein zwingendes Argument erkennbar, warum sich daran in den kommenden Jahrzehnten etwas ändern sollte. Die Aktie an sich hat ihre Bewährungsprobe bestanden. Nicht mit jedem Titel aber wird Geld zu verdienen sein. Gerade Neu-Anleger - und erst recht solche mit schmalem Geldbeutel - müssen sich vor unseriösen Ratgebern in Acht nehmen. Selten waren davon so viele unterwegs wie heute.

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Nr.160, Samstag, den 14. Juli 2007