www.hgeiss.de

12.11.19 Die Not der Bauern

zu Moderne Massentierhaltung und kapitalistische Lebensmittelproduktion

1
Es fällt dem Dörfler nicht immer leicht seine Bauern im Dorf zu lieben. Sie rauschen auf ihren immer gewaltiger werdenden Traktoren vorbei und wenn sie Milchbauern, Schweine-, Hühner- oder Bullenmäster sind, dann brettern sie mit ihren Güllewagen durchs Dorf und kurze Zeit später raubt ein grässlicher Gestank einem den Atem. Glück ist, wenn der Wind von der Gülledeponie wegweht und das Dorf Luvwärts liegt. Aber bei 4-6 Grasschnitten im Jahr wiederholt sich das Gestank ebenso oft und bei mehreren Bauern stinkt es eigentlich mit wenigen Ausnahmen das ganze Jahr. Gesunde Landluft? Denkste, Ammoniakdämpfe, die sogar Wälder sterben lassen und Nitratbomben, die keine Vegetation aufnehmen kann und ins Grundwasser sitzt. Private Brunnen zu betreiben ist beinahe unmöglich geworden, deswegen gibt es beinah überall Anschlusszwang ans Fernwasser, das man mit vielen Kunstgriffen zwischen die Grenzwerte der vielen Schadstoffe bugsiert.
Doch das Gestank steht für die Auswirkungen der Globalisierung, nie stinkt sie mehr zum Himmel als bei diesem Thema. Vermutlich gehen drei Viertel der Gülle auf importierte Futtermittel zurück, in alten Zeiten haben Mist und Odel meist nicht einmal für die einmalige Herbstdüngung aller Flächen gereicht. Heute steht die Gülle oft auf den ebenen Wiesen, in Hanglagen sitzt sie in Gräben und Bäche. Es geht nicht um den Düngeeffekt, es ist die reine Deponierung der unendlich anfallenden verflüssigten Scheiße, der „Veredelungswirtschaft“, wie man die Tiermästerei in übelstem Neusprech bezeichnet.

2
Bauern sind heute allein, finden oft nicht einmal eine Ehefrau, denn die modernen Püppchen gehen lieber shoppen oder auf Wellnessurlaub. „Lauter gestörte Weiber“, gäbe es nur noch, hat mir neulich ein verzweifelter Jungbauer geklagt.

3
„Wachsen oder weichen!“ heißt seit Jahrzehnten das Mantra der Landwirtschaftsämter, eifrig unterstützt vom völlig Großagrariern und der Industrie dienenden Bauernverband, aber beide Institutionen wären ein eigenes Thema.

Selten wurde ein Berufsstand so allein gelassen wie der Bauer. Und mit ihrer schrumpfender Zahl durch das von allen Seiten betriebene "Bauernlegen" und die weitfortgeschrittene Ausrottung der kleinen Familienbetriebe, nahm auch die Unterstützung der Unionspolitiker ab, den Sozis waren die landbesitzenden Bauern sowieso immer Ziel ihres Neides. Ihre für Sesselwetzer und Parteibonzen schier unbegreifliche Arbeitsbelastung – trotz ihrer Maschinen - haben sie ihnen nie geneidet, aber in ihren Köpfen spuken immer noch feudale Geschichten von Herr und Knecht…
Und so tanzen die politischen Marionetten allen Couleurs lieber nach der Musik der Maschinenbaukonzerne, die ihre Waren überall hin verkaufen wollen, der Chemie und Pharmaziekonzerne, die Tiere und Böden Nahrung vergiften und einem Heer an landfernen Mitessern.
Doch mit was sollen die Hungerländer bezahlen als mit Agrargütern? ("Wie bitte? Viele Futtermittel kommen aus den Staaten!", wendet hier erfahrungsgemäß empört das Mietmaul ein. Und ich verweise dann immer darauf, dass sie die Hamburger und T-Bone-Steaks in ihren mittel- und südamerikanischen Vorgärten weiden lassen, wo sie seit der Monroe-Doktrin von 1823 die politischen Regime bestimmen…)

Und so wurden und werden die Lebensmittelpreise bei uns kaputt gemacht, die Nahrung entwertet und der Bauer musste immer größere Flächen beackern, um über die Runden zu kommen. Alleine Daimler soll für zig Milliarden Agrargüter importieren oder importiert haben, erzählt man sich unter Landwirten.
Doch alleine die ständig steigenden Kosten für Agrarmaschinen, mit Patentschutz belegte Sämereien, Dünge- und Spritzmittel fressen jeden nur möglichen Gewinn, die meisten unserer Bauern kämpfen ums Überleben. Und die wie ein Geschwür anwachsende Bürokratie diszipliniert sie und macht ihnen das Leben schwer. Nun deuten manche triumphierend auf die EU-Subventionen, doch wenig hat die Bauern so sehr geschwächt wie die EU, die durch ständige Erweiterung immer mehr Billigkonkurrenz ins Rennen schickte und den Markt zerstörte. Und nichts hat einem freien Bauern so sehr die Würde genommen wie die Alimentierung durch die EU.

 

13.11.19 Re: kein "Mantra"

blu_frisbee schreibt: „Es ist kein "Mantra" falschen Denkens sondern Systemzwang kapitalistischer Konkurrenz und Bauern sind Kleinkapitalisten, in Amerika mittlerweile kleine Rädchen der Industrie.
Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist will daß das Gesamtsystem immer effizienter wird und besorgt katalysierend was das System sowieso will (und auch ohne Staat tut).
https://de.wikipedia.org/wiki/Sicco_Mansholt
Ende 1968 legte er einen Plan vor (Mansholt-Plan), der durch die Reduzierung der Anzahl und die Vergrößerung der Flächen der landwirtschaftlichen Betriebe die europäische Landwirtschaft rationalisieren und an den Weltmarkt heranführen wollte.“

Das System wird aber nicht effizienter, die "moderne" Landwirtschaft setzt mehr Kalorien ein, als sie erwirtschaftet, das Ganze ist einfach verrückt und nur der Gier überwiegend landwirtschaftsferner interessen geschuldet. Wobei ich die private Großbauerngier, die von ihrer Erde und ihren Tieren Lichtjahre entfernt ist, durchaus auch sehe. Leider war die "sozialistische" Landwirtschaft mit ihren Kolchosen und ihren Agrarsteppen kein bißchen besser. Als ich in den Siebzigern erstmals auf der Transitautobahn durch die DDR fuhr, war ich geschockt und nichts hat mir sozialistische Flausen mehr ausgetrieben. Ich begriff die so brutal ausgeräumte Landschaft als Teil des Kalten Krieges, die zusammen mit dem stalinistisch-spießigem Bonzenstaat mehr abschreckte als russische Nuklearsprengköpfe es je konnten. Damals wurde diese brutale Art der Landbewirtschaftung von bundesdeutschen Heuchlern als die reine Teufelei dargestellt, nach der Wende, als dieser Wahnsinn von privaten Betreibern weitergeführt wurde, war dann alles gut.